Albanien – Gjirokaster

Zunächst mal: liebe Brüder, 60 % aller Autos in Albanien sind Mercedes und zwar überwiegend von der älteren Sorte wie unseres. Ich habt uns sehr gut beraten. Danke. Und hier werden alte Autos entsorgt:

Autoschrott

Von Permet nach Gjirokaster sind es nur 60 km, wir brauchen 2 Stunden dafür, die Straßen sind nicht durchgängig schlecht. Es geht viele Kilometer zunächst durch das Tal, das der Fluss Vjosa in die Felsen gegraben hat, die Kelcyra Schlucht. Und dann, nach einem Richtungswechsel,  immer den Drino flußaufwärts. Eine unglaublich wilde, schöne Landschaft. Die Flüsse sind gänzlich unreguliert und fließen in einem breiten Bett. Gjirokaster erschreckt mich zunächst sehr. So steile Straßen. So enge Gassen. Ich finde es wirklich schwierig, mit dem dicken Mercedes den Weg zu finden, und als dann die steile Straße, die ich hochfahre, mit Bauschutt versperrt ist und ich rückwärts wieder runter fahren soll, übergebe ich das Steuer an Karl. Nun alles geht gut.

Gj Straße steil 1GJ Altstadt abendGj Altstadt 3Gj Herrentracht

Wir finden das Hotel und es ist wirklich klasse, ein kleines Häuschen für uns im Garten und ganz gemütlich. Die Wirtsleute sprechen englisch und sind sehr freundlich und unkompliziert. Das Frühstück ist originell und reichhaltig. Wer Gjirokaster besuchen will, dieses Hotel können wir sehr empfehlen: Gjirokastra Hotel. Gjirokastra, Lagjja Partizani.

Schon bei der Anfahrt zum Hotel sind wir als Deutsche identifiziert und ein älterer Herr spricht uns an, ein ehemaliger Lehrer, der sich Deutsch beigebracht hat und uns gerne die Burg zeigen will. Wir nehmen das Angebot gerne an, bringen schnell das Gepäck aufs Zimmer und los geht es, viele Stufen hoch. Die Burg, ursprünglich aus dem 3. J.H., im 19. Jh. in seiner jetzigen Form und Größe gebaut, ist eine wirkliche Sehenswürdigkeit, so groß und breit. Sie folgt einem vorgegebenen Felsplateau. Im 2. Weltkrieg haben dort 2000 Menschen Schutz gefunden. Herr Asllani erzählt einige Geschichten zu dem Ort. Natürlich gibt es von oben einen wunderbaren Blick auf die Stadt und die Umgebung. Das Flußbett des Drino, die kleinen Dörfer in der Umgebung, die Berge (2400 Meter ist der höchste) und wieder Gletscher. Ein guter Anfang, um sich dieser Stadt zu nähern. Danke Herr Ermir Asllani, wir haben uns sehr gefreut, mit ihnen spazieren gehen zu können. Und wenn mal jemand Gjirokaster besucht, geben wir gerne seine Telefonnummer heraus. Mailt uns an. Ein Spaziergang mit ihm ist großartig.

Gj Burg 2 Gj Burg

Nach einer Mittagspause schlendern wir selbstständig durch die Stadt. Die Altstadt ist sehr besonders. Die Straßen bestehen aus altem Kopfsteinpflaster, dass mit zwei unterschiedlich farbigen Steinen zusammengestellt ist.

Gj Straße 1 Gj Straße 2

In Gjirokaster sind zwei berühmte Männer geboren. Enver Hoxha hat schon 1961 seine Geburtsstadt zur Museumsstadt erklären lassen und so ist sicher viel alte Bausubstanz erhalten worden. Die Altstadt wurde dann 2005 zum Weltkulturerbe erklärt. Die Probleme, die Albanien hat, seine Kulturschätze zu erhalten, kann man an dieser Stadt gut verstehen. Wie schon in Bitola beschrieben, ist es sehr aufwendig, diese alten Gebäude zu erhalten. Fachgerechte Restaurierungen sind noch mal aufwendiger. Viel alte Substanz verfällt, denn die Besitzenden sind nicht in der Lage, die notwendigen Mittel aufzubringen. Der Staat Albanien unterstützt den Denkmalschutz nur unzureichend.

Gj Haeuser Gj Dach traditionelles Haus

Viele große Häuser (ab dem 18. Jh.) haben eine spezielle Form. Zwei mehrstöckige Türme sind mit einem niedrigeren Mittelteil verbunden. Im Erdgeschoss war der Platz für die Lebensmittel und Lager, in den zwei bis drei Stockwerken darüber fand das Leben der großen Familien statt, häufig waren die Räume für die Männer und die Frauen getrennt. Handwerker und weniger vermögende Familien bauten ähnliche Häuser mit nur einem Turm. Wir besuchen am Sonntag zwei dieser alten Häuser.

Gj Hoxhahaus

Das nach einem Brand wieder aufgebaute Elternhaus des alten Diktators Hoxha, ein kleineres traditionelles Haus mit nur einem Turm (es ist jetzt allerdings dreimal so groß geworden wie zur Zeit, als Hoxha dort ein paar Jahre lebte) beherbergt jetzt das Ethnografische Museum und ist ein einem erbärmlichen Zustand. Die reich verzierten geschnitzten Holzdecken z.B. haben erhebliche Wasserschäden und vergammeln. Trotzdem bekommen wir einen guten Eindruck von Leben in diesen Häusern. Es sind auch einige wenige Trachten ausgestellt. Ich darf sie anfassen und bewundere die handgearbeiteten Nähte der Männerhemden. Und finde eine „Rockbüx“, wie sie gerade als letzter Schrei durch die „Näherinnenbloggergemeinde“ geht. Wie fast überall in den Museen auf unserer Reise bekommen wir, es sind keine anderen Besucher da, eine ausführliche Einführung. Als ich mit Fragen mein Interesse für das unterschiedliche Leben der Männer und Frauen in diese Zeit zeige, werde ich sogar zu den einzelnen „weiblich dominierten“ Räumen geführt und bekomme besondere Erläuterungen. Auch diese junge Führerin arbeitet übrigens nicht in ihrem gelernten Beruf, sie hat Italienisch studiert, und plant, wieder zurückzugehen nach Italien, wo sie schon mal 8 Jahre gelebt hat. Sie weiß aber auch, dass sie mit ihrem Hochschulabschluß in Italien nichts wird anfangen können. Das scheint sehr typisch zu sein für die Lage der jungen Erwachsenen im Land, es gibt nicht so viel Hoffnung auf Verbesserung und kaum Chancen auf eine gute Arbeit mit angemessener Bezahlung.

Gj Hoxhahaus

Einen noch besseren Eindruck vom Leben in diesen Häusern erhalten wir beim Besuch im Nachbarhaus. Herr Skenduli führt uns durch sein „Zwei Türme Haus“. Er spricht etwas Italienisch wie Karl und so findet die Führung in dieser Sprache statt., manchmal malt er symbolisch Jahreszahlen mit dem Finger an die Wand. Auch diese Familie hat kein Geld, ihr Haus zu renovieren oder die Einrichtung zu ergänzen, aber der alte Herr hat hier seine Lebensaufgabe und erhält es als Museum. Bis zu 30 Familienmitglieder lebten hier früher zusammen. Wir besichtigen Lebensmittellager, diverse Schießscharten und Beobachtungsfenster (es war ja ein Wehrturmhaus!), Sommer- und Winterküchen, Toiletten, Badezimmer (Hammam), Zisternen, einen wunderbaren Raum mit großen Fenstern auf die Berge für das „junge Paar“, sehen Kinderschlafzimmer, den Gästeraum (immer das zweitschönste Zimmer), das beste Zimmer ist der Raum für die Männer und die offiziellen Empfänge. Und wir lernen, wie die Frauen ohne gesehen zu werden den Gesprächen der Männer lauschen und für Kaffee und Raki sorgen könnten. Der Kamin im Zimmer für die Frauen ist aufwendig bemalt. Hauptmotiv sind hier Granatäpfel, wegen der Fruchtbarkeit.

Gj Altes Haus 1 Rockbuex Gj Altes Haus 2

Der zweite große Sohn der Stadt ist Ismail Kadare. Ein mir bis dahin völlig unbekannter aber weltweit bedeutender Schriftsteller. In seinen Büchern hat er sich mit der albanischen Kultur beschäftigt und über unterschiedliche Themen geschrieben. Wir konnten vor Ort einige seiner Bücher auf Deutsch und auf Englisch kaufen und lesen sie jetzt sehr interessiert. Es geht um den Kanun, ein uraltes Regelwerk, dass in den nördlichen Bergen Albaniens galt und dessen bekanntester Begriff die Blutrache ist. Viele seiner Bücher setzen sich mit den Kriegen der neuen und älteren Zeit auseinander und erzählen in beeindruckender Form Geschichte durch die Erlebnisse einzelner Menschen.

Wir haben uns überwiegend in der Altstadt aufgehalten, dem touristisch interessanteren Teil. Es gibt aber auch hier viele Stadtteile mit Plattenbauten und teilfertiggestellten Häuser. Armut und Reichtum und auch in Albanien geht die Schere immer weiter auseinander.

GJ Neustadt 2 Gj Neustadt

Während wir diesen Beitrag schreiben – auf der Terrasse des Hotels – beginnt der Muezzin seinen kurzen abendlichen Gesang. Die Moschee ist vielleicht 50m entfernt, der Gesang ist ruhig, getragen, sehr beruhigend, paßt wunderbar zu dem (fast) Sommerabend.

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Mechthild Verfasst von:

Ein Kommentar

  1. Christine
    5. Mai 2015
    Antworten

    Toll, Ihr Lieben. Eine wunderbare Reise! Dieser Beitrag gefällt mir besonders gut. Das Pflaster hat es mit angetan. Wäre ein tolles Motiv in vielen Variationen zum Gestalten von Kollagen.
    Dazu passt der Gesang des Muezzins.
    Die Narzissen blühen hier noch ein wenig. Die Tulpen und Apfelbäume sind voll da.
    Alles Liebe für Euch weiterhin!
    Christine

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