Wir lassen es langsam angehen. Heute scheint die Sonne nicht und es weht ein kühler Wind. Gerade richtig für einen langen Aufenthalt im Museum. Anfang 2006 wurde eins der größten nordeuropäischen Kunstmuseen in Tallinn eingeweiht, das KUMU Kunstimuuseum. Von finnischen Architekten entworfen bekam es 2008 den Europäischen Museumspreis.
Das ist einer von fünf Standorten des „Art Museum of Estonia“. Das Niguliste Museum, die Nikolaikirche, gehört auch dazu und darüber haben wir ja gestern schon erzählt.
KUMU ist der modernen estnischen Kunst gewidmet. Schon der Außenbereich ist interessant.
Viele sehr unterschiedliche Skulpturen und eine zum Ambiente passende Landschaftsgestaltung und mittendrin Bereiche zum Spielen und Ausruhen.
Im hinteren Eingangbereich hatte die Modestudierenden der Academy of Arts ausgestellt. Rote Kleider aus dem Material, aus dem sonst die bei Feierlichkeiten ausgelegten roten Teppiche bestehen, wurden mit Stimmen, Gesang und Stöhnen begleitet. Sehr modern.
Das Gebäude hat 5 für die Öffentlichkeit zugängliche Etagen. Auf vier Etagen finden Ausstellungen statt.
Eine ist die „Schatzkiste Estniens“. Hier sind Skulpturen und Bilder estnischer Künstler und Künstlerinnen vom 18. Jh. bis 1945 ausgestellt. Deutlich wird der europäische Einfluss. Die wesentlichen kunstgeschichtlichen Strömungen spiegeln sich hier in den Werken. Besonders deutlich ist natürlich der Einfluss der Deutschen. Den „Travelers“ von Eduard Ole (1929) sehen wir manchmal durchaus ähnlich
und unter den Köpfen kann man auch bekannte entdecken
Eine spezielle Sonderausstellung beleuchtet den Einfluss von Kunst und Musik. Musizieren und Singen hatten wesentliche Bedeutung für die Entwicklung der nationalen Identität, weil hier die estnische Sprache die verbindende Kraft ist. Bis heute finden alle fünf Jahre Liederfeste mit mehr als 20.000 Sängern und hunderttausenden von Zuhörenden statt. Diese Feste gab es eben auch regelmäßig während der sowjetischen Besatzungszeit.
Eine ganze Etage zeigt die Entwicklung der estnischen Kunst in der Zeit der sowjetischen Ära von 1940 bis 1991 und auch das Dilemma der Künstler, sich mit den Forderungen nach sozialistischer Kunst auseinanderzusetzen. Viele bedeutende Künstler haben sich in der Zeit aus der Öffentlichkeit zurückgezogen.
Jetzt beim Einfügen der Fotos in den Text wird mir deutlich, dass wir keinen repräsentativen Querschnitt fotografiert haben sondern eben das, was uns am meisten beeindruckte. Es gab auf dieser Etage viele unterschiedliche Aspekte und Stilrichtungen. Besonders beeindruckt hat mich das Video „Monolith“ von Kristina Norman, bei dem es um die Auseinandersetzung Tallinner Bürger um ein Ehrenmal für die gefallenen sowjetischen Soldaten geht. Hier kann das Video angeschaut werden. Der Film zeigt auch, dass es heftige Auseinandersetzungen gab und keineswegs alles nur singend und friedlich ablief, bis Estland wieder selbständig wurde.
Zwei weitere Etagen haben Platz für Sonderausstellungen internationaler Künstler und Künstlerinnen.
Wir sahen: Anu Pöder (1947 bis 2013) : Be Fragile Be Brave!
und die Ausstellung ergänzende Installationen von weiteren Künstlerinnen.
Das Museum lohnt sich sehr. Eine gute Entscheidung von uns, dass wir uns so viel Zeit dafür genommen haben.
Frühstück und Abendbrot haben wir in dem kleine Bar-Buffee Nikolay gegenüber von unserem Apartement eingenommen. Im wesentlichen wird dort süßes und herzhaftes Hefegebäck (Pies) angeboten. Nichts estnisches, eine slavische (russische) Speise, erklärt mir der Kellner. Geöffnet ist 7 Tage die Woche von 9 bzw 10 Uhr bis 22 Uhr. Sehr frisch, sehr wohlschmeckend. Großartig.
Karl und ich beschäftigen uns schon seit in paar Tagen mit unserem nächsten Ziel. Dort werden wir den Mittsommerabend, den 23. – 24. Juni 2017 verbringen, und Mittsommer soll ja auch in Estland fast noch wichtiger sein als Weihnachten. Nun, wir werden es sehen.
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