bei strahlendem Sonnenschein setzen wir heute unsere Kennenlerntour durch die Hauptstadt Estlands fort. Da nun aber mal Wochenende ist, machen das weitere Tausende von Menschen auch, und es ist ziemlich voll. Es wird viel Bier getrunken… Übrigens habe ich gelesen, dass in Estland zwischen 22.00 abends und 10.00 Uhr morgens kein Alkohol verkauft werden darf, was sicher ein Versuch ist, den estnischen Konsum an harten Alkoholika einzuschränken, aber vielleicht auch den Alkoholtourismus der Finnen begrenzen soll.
Als wir in der Innenstadt ankommen, bin ich schon so schlapp, dass eine ruhige und vor allem kühle Kirche angebracht ist. Wir besuchen deshalb die Niguliste kirik, die Nikolaikirche. Diese wurde im 13. Jahrhundert von westfälischen Kaufleuten erst als Wehrkirche gegründet, ist aber jetzt keine Kirche mehr sondern Teil des Estnischen Kunstmuseums und auch Konzertsaal (Orgelkonzerte). Im letzten Krieg wurde sie bei der Bombardierung der Stadt durch die sowjetische Armee sehr geschädigt.
In der Kirche gibt es einen prächtigen Hochaltar, der von Lübecker Kaufleuten bezahlt wurde, und den Rest eines imposanten Totentanzgemäldes von Anfang des 16. Jahrhunderts, ebenfalls von einem Lübecker Künstler. Diese Städtebeziehungen zeigen die enge Verknüpfung der Hansestädte an; schon in Tartu hatten wir eine „Lübecker Strasse“ gesehen.
Mich hat noch beeindruckt, dass auch hier wie schon in Tartu und Kaliningrad bei Grabsteinen (Epitaphen) oder Wappen Namen deutscher Adelsgeschlechter auftauchen, die mir aus anderen Bezügen (Medizin, Literatur etc.) aus dem Nachkriegsdeutschland bekannt sind, aber wohl im Baltikum und in Ostpreußen ihre Wurzeln haben: von Uexküll, von Manteuffel, von Dönhoff u.a.
Auf dem zentralen Rathausmarkt gibt es ein Konzert mit estnischen Volkstänzen (bei denen auch Japaner mitmachen, wie der genaue Beobachter sicher bemerken wird; sie singen nicht nur in Opernchören mit)
und es gibt einen Markt mit viel Selbstgemachtem
Nachmittags würde es um 16.00 Uhr ein kostenloses Orgelkonzert geben, aber es ist so heiß und die Stadt so voll, dass wir zur Zeitüberbrückung noch das Estnische Historische Museum im Gebäude der Großen Gilde schaffen, in dem auf sehr anregende, gut gemachte und technisch hervorragende Weise 11.000 Jahre estnischer Geschichte gezeigt werden. Die Ausstellung steht unter dem Motto „Zäh und beharrlich“ und versteht sich als Teil eines estnischen „Gedächtniszentrums“ für die Nation und den Staat. Das Gebäude der Großen Gilde – 1410 erbaut und von den reichen Kaufleuten der Hansestadt finanziert – ist eine sehr passende Umgebung.
Neben dem Museum sind die Etappen dieser Geschichte Estlands auf einem langen Weg durch Granitplatten mit Aufschrift dargestellt, und Estland blickt jetzt nach den Jahrhunderten von Fremdherrschaft zuversichtlich in eine eigene Zukunft
Danach ist aber unsere Aufnahmekapazität erschöpft, wir wanken in das Apartment und erst gegen Abend nach angessener Erholung geht es noch mal in die Stadt. Und morgen? Noch einmal Altstadtkampf? Oder doch lieber Fahrt an einen Tallinner Strand?! Wir werden sehen.
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