seit Freitag sind wir jetzt also in Tirana. Die Fahrt von Berat war von der Verfassung der Strassen her völlig problemlos, es war zum großen Teil eine Autobahn, allerdings nicht nach unseren Begriffen. Zwar war sie vierspurig, aber wenn mal eine Fabrik am Rand stand, gab es eben eine schlichte meist unasphalierte Zufahrt dorthin. Und Radfahrer waren natürlich auch unterwegs, auch in entgegengesetzter Fahrtrichtung, und der Bus hielt schon mal rechts, die Fahrgäste stiegen auf der Autobahn aus, überquerten diese dann bis zur Mittelleitplanke, und da waren ein paar Steine gestapelt, mit deren Hilfe man leichter über die Leitplanke klettern konnte! Und einige tote Hunde lagen auch auf der Strecke, das hatten wir in Bulgarien ja auch schon gesehen.
Etwa südlich von Durres, der größten Hafenstadt an der Adria, fing es an, schrecklich auszusehen, weil eine Hotelburg neben der anderen sich auftürmte und alles dicht war. Lt. Navi war links von uns das Meer, gesehen haben wir es nicht. Urlauber aus den Hotels rechts von der Autobahn konnten dann über Fußgängerbrücken die Strassen überqueren und zum Strand gehen. Von Durres aus geht die Autobahn dann nach Osten Richtung Tirana, und die ganze Strecke (immerhin noch ca. 30km) war dann fast vollgebaut mit Industrie, Märkten, auch Wohnanlagen.
Dann Tirana! Je näher wir dem Zentrum kamen, desto dichter wurde der Verkehr. (und alles bei fast 30 Grad Hitze!). Vierspurig, wenig Ampeln, von rechts kamen einfach immer noch Autos dazu. Mitten in Tirana dann mehrere Kreisverkehre ohne jeglich Regelung, niemand hatte Vorfahrt bzw. alle hatten Vorfahrt, die in den Kreis fahrenden Autos fuhren einfach rein und machten mit, wenn wir rausfahren wollten, schoben wir uns eben auf diese Weise mit Zentimeterabständen an den einfahrenden vorbei wieder aus dem Kreis raus. Und plötzlich klopft dann ein junger Radfahrer (die waren natürlich auch mitten drin!) auf unser Dach, grinst fröhlich und ruft „Hallo Bielefeld! macht ihr Ferien in Tirana? Schöne Zeit! Fahrt vorsichtig!“, und weg war er wieder. Na ja, schließlich haben wir das Hotel erreicht, gelegen in einer Nebenstrasse (Sackgasse) der Rruga George W. Bush (tatsächlich wahr!!). Später erfuhren wir, dass Bush wohl gegen Ende seiner Amtszeit in Albanien war und da irgendwelche Versprechungen machte; es soll sogar eine Statue von ihm irgendwo geben (unser amerikanischer Begleiter Peter: „probably the only monument of George W. in the world…“).
Freitag haben wir dann noch den berühmten Skanderbeg-Platz im Zentrum besucht, nicht weit weg vom Hotel, dort in einem Cafe in dem ehemaligen Kulturzentrum gesessen, vorher ein paar Bücher gekauft in der bekannten Adrion-Buchhandlung und uns eingestimmt auf die Hauptstadtatmosphäre.
Ich hatte dann noch unserer amerikanischen Bekannten unsere Ankunft mitgeteilt (wir hatten uns in Ksalim kennengelernt), und mit ihr haben wir uns für Mittag verabredet. Vorher noch Besuch des Nationalmuseums, in dem in mehreren Pavillons die Geschichte Albaniens von der frühesten Besiedlung bis in die Zeit des Kommunismus gezeigt wird. Viele ausländische Touristengruppen waren unterwegs, und so war es kein Problem, bei der einen oder anderen deutschsprachigen Führung zu lauschen. Die berühmtesten alten Zeugnisse vergangener Kulturen waren das Frauenkopfmosaik aus Durres und die „Göttin von Butrint“ (als wir dort waren, hatten wir schon eine Kopie gesehen, und hier erfuhren wir jetzt, dass es sich gar nicht um den Kopf einer Frau sondern um Apollo handelt. Man hat wohl irrtümlicherweise nach der Entdeckung angenommen, einen Frauenkopf gefunden zu haben, und wenn man sich den Marmorkopf anschaut, muss man sagen, dass der auch weiblich aussieht. Vielleicht war Apollo ja androgyn?)
im Museum fiel mir auf, dass es umso mehr englischsprachige Begleittexte zu den Ausstellungsstücken gab, je älter diese waren. In der Abteilung über die kommunistische Zeit habe ich nur albanische Texte gesehen; natürlich waren die Bilder auch für sich aussagekräftig (zumindest wenn Tote gezeigt wurden, die bei den Versuchen erschossen wurden, als sie über die Grenze wollten), aber mehr verständlicher Text oder vielleicht ein Film auf Englisch wäre hilfreich gewesen, diese Zeit besser zu verstehen. Die weiteren Eindrücke im Verlauf des Tages (s.u.) lassen mich vermuten, dass dies wohl kein Zufall ist, sondern auch den Stand der Bearbeitung und Bewältigung der Diktatur in Albanien widerspiegeln.
Mittags trafen wir uns dann mit unseren neuen Bekannten, die uns nach längerem Gespräch im Millenium-Cafe das Viertel zeigten. Peter erzählte auch von den Schwierigkeiten, denen er in seiner Arbeit begegnet. Teamwork und „brain storming“ sei fast unmöglich, weil jeder befürchte, dass seine Ideen von jemand anderem „gestohlen“ und benutzt werden könnten. Ohne Beziehungen sei es fast unmöglich, irgendetwas zu erreichen. All das hat ihn wohl ziemlich müde gemacht.
Wir gingen kurz hinter das benachbarte Gebäude der Kunstgalerie, in dem wir am Sonntag die sozialistische Kunst ansahen; heute sahen wir die abgestellten Statuen von Stalin und Lenin, die dort hinten vor sich hin rotteten.
Wir sahen dann das Gebäude des Innenministeriums, wo politische Gefangene inhaftiert, gefoltert und umgebracht worden sind, und sahen, dass es wohl Bestrebungen gibt, dies Gebäude, welches jetzt vor sich hin rottet, zu einem Ort des Gedenkens zu machen. Klar ist ja, dass es nach wie vor Täter gibt, verantwortliche Juristen, Gefängnisaufseher, Folterer, aber es gibt bisher keinen Prozeß und keine offiziellen Versuche, dies Kapitel der albanischen Geschichte systematisch und öffentlich zu bearbeiten. Wahrscheinlich ist alles noch zu jung.
Wir gingen auch durch das sog. Block-Viertel, in dem früher alle maßgeblichen Funktionäre und auch Enver Hodscha wohnten, und welches kein normaler Sterblicher betreten durfte. Das Haus von Hodscha steht noch da, manche Veranstaltungen finden da wohl statt, es ist aber nicht als Haus von Hodscha erkennbar, nirgends gibt es irgendeinen Hinweis auf ihn.
Im Nationalmuseum wurde in einer Vitrine ein Stück des Seiles ausgestellt, mit dem die Hodscha-Statue gestürzt worden ist. Im Block-Viertel tobt jetzt das moderne urbane Leben, ein Cafe folgt dem nächsten, hier trifft sich offensichtlich die junge neue Bourgoisie. Wir sahen aber auch eins der Häuser, die der frühere Bürgermeister von Tirana bunt anmalen ließ, um Farbe in das triste sozialistische Grau zu bringen. Wenige Meter weiter dann eine Art Gedenkstelle mit einem der unglaublich vielen Bunker, die Hodscha aufstellen ließ (aus dem Bunker heraus habe ich Mechthild, Betsy und Peter photographiert), einem Stück der Berliner Mauer (!) und einigen Betonstützen aus einem der Straflager, in denen Feinde des Regimes schuften mußten und oft auch umgebracht wurden.
Eine Art Krönung des ganzen ist dann noch die berühmt-berüchtigte Pyramide, die die Tochter von Hodscha wohl mit unglaublich hohen Kosten errichten ließ. Gedacht als Mausoleum für ihren Vater verrottet es jetzt, wird von Jugendlichen als Abenteuerspielplatz benutzt, aber hin und wieder finden wie am Sonntag auch Veranstaltungen statt. So wie mit dem Wohnhaus von Hoxha ist es auch mit dieser Pyramide. Es ist unklar, was damit passieren soll. Die Gebäude können noch nicht einfach abgerissen werden (wie bei uns z.B. der Palast der Republik in Berlin), für eine neue Nutzung ist es aber wohl auch zu früh. Die Verletzungen, die die Kommunistische Zeit dem Volk zugefügt hat, sind noch zu frisch.
Viele Eindrücke wären noch zu erwähnen, viele Photos hochzuladen, aber ich will diesen Beitrag nicht überfrachten. Die paar Stunden mit Betsy und Peter, die ja seit ein paar Jahren in Tirana leben und arbeiten, haben uns noch einmal einen guten Einblick gegeben – dank euch! Beide arbeiten für einige Jahre im Land, betrachten es sehr differenziert und haben uns in kurzer Zeit an ihren Erfahrungen teilhaben lassen. Sie lieben das Land und die Leute und die Natur, sehen die aktuelle Entwicklung kritisch aber nicht hoffnungslos.
Am Sonntag haben wir uns zuerst die Nationale Kunstgalerie angeschaut. Es gab zwei kleine Sonderausstellungen, über die Fotoausstellung möchte ich mich nicht äußern, die Bilder des türkischen Künstlers Devrim Erbil
„With Love from Istanbul“ haben mich hingegen begeistert.
Die Dauerausstellung zeigt Werke von albanischen Künstlerinnen und Künstlern, fast allesamt heroische realistisch kommunistische Werke.
Bei der Hitze des Tages, über 30 Grad fast ohne Wind, war dieser Besuch ein schöner Tagessanfang. Dann haben wir uns noch ein bisschen durch die Stadt treiben lassen und ich (Mechthild) habe auf dem Basar eine dünne Hose für mich und ein Kleid für die Enkeltochter erstanden.
Einer langen Mittagspause im klimatisierten Hotelzimmer folgte der Besuch der Eco Fashion Show in der Pyramide. Ein spannendes Erlebnis. Mehr als zwei Stunden lang zeigten Kinder, Jugendliche, junge Erwachsenen und wohl auch einige Designerinnen, was sie in den letzten Wochen aus „Abfall-„Materialien produziert hatten. Alles mögliche wurde verwendet: PC-Tastaturen, Plastikmaterialien jeglicher Art, leere Kaffeekapseln, alte Kleidungsstoffe, Windelverpackungen und so weiter……….
Die Modeschausprache war Englisch. Beteiligt waren verschiedene Schulen und einige freie Designerinnen. Ich hatte den Eindruck, dass die Schulen beteiligt waren, die zur Elite der Stadt gehören und auf die auch Ausländer ihre Kinder schicken. Eine wuselige sehr interessante Erfahrung. Vor der Pyramide gab es verschiedene Stände mit „Selbstgebasteltem“.
Die städischen Parks am Wochenende sind voller Familien und älterer Menschen, die dort auf dem Rasen und den Bänken sitzen und über die Wege flanieren. Es gibt nicht so viele Privatgärten in der Stadt und so findet das Leben eben in den öffentlichen Anlagen und den umliegenden Cafes statt. Und da das Wetter in Tirana fast immer gut ist, kann man das eben fast immer machen.
Ab Morgen gehts nach Bielefeld zurück, ganz gemütlich, von Land zu Land.
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