heute besuchen wir die berühmte Insel Kischi im Onega-See, Transportmittel natürlich wieder eins der schnellen Tragflügelboote; Dauer der Fahrt knapp 1 1/2 Stunden. Wie wir dann feststellen, kommen auch große Kreuzfahrtschiffe dorthin, die zwischen Moskau und St. Petersburg verkehren. Die sind jetzt nicht so riesengroß wie die üblichen Kolosse, die man in Städten wie Venedig sehen kann, aber wirken trotzdem deplatziert.
Kischi ist eine von vielen Inseln im zweitgrößten See Europas, etwa 6km lang und max. 800m breit. Sie war schon Anfang des 14. Jahrhunderts ein bedeutendes Zentrum des Handels, als von Nowgorod aus der Norden besiedelt und christianisiert wurde. Im 18. Jahrhundert entstand ein Ensemble von Sakralbauten, die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehören: die Christi-Verklärungskirche und die Maria-Schutzkirche (beide erbaut um 1700 herum) sowie ein Glockenturm (19. Jahrhundert). Das Besondere ist neben der einzigartigen Architektur, dass alles aus Holz erbaut ist ohne einen einzigen Nagel.
Die Verklärungskirche mit 22 Kuppeln aus Espenholz ist die Sommerkirche („kalte“ Kathedrale, unbeheizt!), die andere die Winterkirche. Wegen aktueller Restaurierungsarbeiten konnten wir die Verklärungskirche nicht betreten, aber der Blick von außen und ein Rundgang um das Kirchhofgelände ist wunderbar. Das Beitragsbild stammt von neuen fertigen Kuppeln, die oben auf der Kirche noch fehlen und jetzt auf dem Rasen auf ihren Einsatz warten. Die „Neunzwiebelkonstruktion“ der Maria-Schutz-Kirche ist einzigartig in der russischen Holzbaukunst.
Das hölzerne Baugerüst, auf denen Zimmermänner herumturnten und am Dach arbeiteten, paßte da gut zu. Neu sehen die Holzschindeln fast golden aus (s. Beitragsbild), durch den Einfluß von Wind und Wetter verändert sich ihre Farbe oft. Das Espenholz saugt die Feuchtigkeit auf, wird dabei fast schwarz, in der Sonne wieder hell, verzieht sich nicht und bietet dichten sicheren Schutz.
Ein junger Zimmermann demonstrierte mit seinem wohl höllisch scharfen Beil, wie man aus einem Stück Birkenstamm eine solche Schindel macht, das war sehr geschickt und professionell:
Die anderen Bauten auf der Insel sind quasi importiert aus verschiedenen Gemeinden des karelischen Dörfer am Onega-See, so dass die gesamte Insel ein Freilichtmuseum ist, in dem man Bauernhäuser besichtigen kann und alte Handwerke gezeigt bekommt von Frauen in traditionellen Trachten.
Einschub Mechthild: Karl hatte noch nie ein Frau mit Rocken spinnen sehen, immer nur mit Spinnrädern (meine Mutter spinnt seit vielen Jahren so). Mich hat auch die traditionelle Stickerei begeistert. Immer roter Faden auf weißem Stoff, in der Regel Leinen. Ich habe einen kleinen zornigen Hauskobold mit Bizeps fotografiert. Fast in jedem Haus gab es Vorführungen von traditionellen Handwerken. Sehr schön. Ich habe aber auch gesehen, dass sich viele Techniken gleichen. Die Verarbeitung von Flachs zu Leinen kenne ich so auch aus meiner Heimat.
Solch ein Freilichtmuseum haben wir in Ostwestfalen ja auch in Detmold, aber ich hatten den Eindruck, dass diese Holzbauten eine ganze Ecke perfekter konstruiert und ausgeführt waren (und es waren ja wie die Kirchen reine Holzbauten!. Eine alte Kapelle aus dem 14. Jahrhundert, dem heiligen Lazarus gewidmet, ist wohl das älteste erhaltene Gebäude dieser Art russischer Holzbaukunst überhaupt)
Sehr beeindruckt hat mich ein junger Bootsbauer. Dieser war gerade dabei, ein klassisches altes Boot zu bauen, hatte aber nebenan ein Kanu stehen („von den Indianern“, wie er auf Englisch meinte), was er selbst geschaffen hatte alles aus Birkenholz! Von außen verkleidet war das Kanu mit Rinde von Birkenstämmen! Sah toll aus, war schon vom Erbauer gefahren worden:
überall so faszinierende und perfekte Holzbauer- und Zimmermannarbeiten, sogar die Fußbodenbretter waren per Hand bearbeitet:
Insgesamt ein sehr beeindruckender Besuch, viel beeindruckender als Walaam, weil hier alles „normaler“ aussieht durch das Fehlen der farbigen und vergoldeten Kuppeln. Auch die Religiosität war zurückhaltender; Frauen sollten auch hier ihre Häupter bedecken und Männer ihre Mützen abnehmen, aber es gab keine Kontrolleure und Aufpasser. Und wenn eine große Gruppe von Besuchern mit ihrer Führerin/ihrem Führer zu Ende gelauscht hatte, traten die drei anwesenden Mönche vor die schlichte Ikonostase und sangen!
Gegen 19.30 Uhr waren wir zurück, kurze Pause, dann Abendessen im Restaurant des Hotels mit Blick auf den See aus dem 11. Stockwerk zur Feier unseres heutigen 43. Hochzeitstages
Herzlichen Glückwunsch zu eurem Hochzeitstag aus Kiel! Dann hättet ihr euch ja auch gleich nochmal kirchlich trauen lassen können. So eine schöne Gelegenheit!
Russisch-orthodox?? Nicht dein Ernst lieber Schwager
Schöner Gruß Mechthild