Narva – so nah an Russland

An manchen Stellen ist Russland so nahe, dass man ganz schnell rüberschwimmen könnte, wenn es nicht verboten wäre und die russischen Grenzer aufpassen würden.

Am rechten Ufer der Narva liegt Ivangorod, die russische Stadt und links davon Narva, die estnische Stadt.

Gegründet wurden beide Städte getrennt, Ivangorod 1492 durch Iwan den III, der die Festung am Ufer als Antwort auf die Hermannsfeste erbaute, die, von den Schweden gegründet, 1345 an den Deutschen Orden verkauft wurde. Der Fluss Narva war also immer irgendwie Grenzfluss und die Stadt Narva Grenzstadt. Und damit auch wichtiges Zentrum im internationalen Handel, offensichtlich schon zur Zeit der Wikinger. Ausser den beiden Festungen ist fast nicht mehr übrig von der alten Stadt.

Sowjetische Architektur prägt das Bild. Die Stadt wurde zwischen 1941 und 1944 fast vollständig zerstört und für den rekonstruierenden Aufbau war kein Geld da.

Beim Abendspaziergang war das graue Hochhaus in warmes Abendlicht getaucht. Da wo die Fliederbusche am stehen war die mittelalterliche Altstadt.

Zur Sowjetzeit wurden viele Esten deportiert und russische Arbeiter (und solche aus anderen Unionsrepubliken) für die neu entstehende Industrie angesiedelt. Die estnische Bevölkerung konnte lange nicht zurückkehren.

Noch heute sind über 90% der Einwohner russischer Herkunft. Wieviele davon die estnische Staatsbürgerschaft nicht erlangen wollten oder konnten (z.B. weil sie nicht estnisch sprechen oder den notwendigen Test nicht bestanden haben) konnte ich nicht herausfinden. Allerdings scheint das im wesentlichen ein Problem der Älteren zu sein. Die Jungen lernen in der Schule häufig Estnisch. Aber auch sie haben ein eine russische Identität. Schon im letzten Jahr hat uns das Thema der russischen Esten beschäftigt. Es gibt 25% estnische Russen im ganzen Land, im Osten sind es in manchen Teilen 90%. Viele sind „Nichtbürger“, staatenlos und das bedeutet  Einschränkungen im Leben. Hier verlinke ich einen Sachstandsbericht des deutschen Bundestages zu diesem Problem.

Für unseren Alltag gestern und heute bedeutete das, dass wie unsere rudimentären russischen Sprachkenntnisse schon erproben konnten. Die Kellnerin hat mir gestern z.B. den Namen des Fisches Neunauge auf russisch genannt und ich habe erst mit Verspätung den estnischen Namen entdeckt. In der Regel finden wir aber wichtige Texte auf russisch, estnisch und englisch. Orientierung ist also kein Problem.

Heute haben wir zwei Ausflüge gemacht:

Sillamäe, die heimliche Stadt

1946 begann die Sowjetunion in dem kleinen Dorf mit dem Abbau und der Verarbeitung von Ölschiefererz und später auch anderen seltenen Erden. Es entstand eine Urananreicherungsanlage für sowjetische Atomkraftwerke und Nuklearwaffen. Dazu wurde weiteres Uranoxid hierhin importiert. Viele Arbeiter, oft auch Kriegsgefangene aus unterschiedlichen Orten, wurden hier zusammengeführt, um Stadt und Fabrik aufzubauen. Zuvor waren auch hier die als unzuverlässig geltenden estnischen Einwohner deportiert worden. In einem zweiten Schub kamen  Arbeiter und Arbeiterinnen von überall her. Das Leben in der Stadt scheint privilegiert gewesen zu sein. Den Arbeitern sollte es gut gehen. Die Produktion von Uran war wichtig. Die Gebäude in der Stadt unterscheiden sich deutlich voneinander: es gibt viele mehrstöckige Häuser mit unverputzten Backsteinwänden (die sieht man auch in Narva) und andere mit Stuckverzierungen und farbigen Anstrichen. Diese „poststalinistische“ Architektur hatte auch die Funktion, den qualifizierten Arbeitern und Ingenieuren das Leben angenehmer zu machen.

 

 

Die Stadt verschwand von den Landkarten, durfte nicht erwähnt werden. Sogar die Adressen waren codiert, nicht Sillamäe, Straße, Nummer sondern z.B. Narva 1. Das neue Rathaus hatte die Form einer ev. Kirche, um potentielle Angreifer zu irritieren. Erst das Ende der sowjetischen Besatzung in Estland beendete den Spuk. Und deutlich wurden die erheblichen Umweltschäden. Die nuklearen Abfälle waren in einem künstlichen See gesammelt worden, der junge estnische Staat musste mit Hilfe der EU erhebliche Mittel zur Sanierung aufwenden. Inwieweit das gelungen ist, dass ist mir unklar. Ich habe keine Informationen darüber gefunden. Hier gibt es aber einen interessanten Artikel über die Stadt.

 

Narva-Jõesuu

An der Mündung der Narva in die Ostsee liegt dieser Badeort. Ein jetzt in der Vorsaison ganz beschaulicher kleiner Ort mit alten Holzhäusern. Manche sind schon etwas baufällig. Es wird aber an vielen Stellen renoviert.

Je näher die Straße zum Strand führt, umso höher werden die Häuser. Immer wieder gibt es neue Hotels mit Spa-Angeboten. Noch sind wenige Gäste da. Wir können am Strand das erste Picknick unserer diesjährigen Reise machen und sehen auch zum ersten Mal Russland.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich das Dorf zu einem bevorzugten Badeort für die reiche Moskauer und Petersburger Gesellschaft. Auch während der sowjetischen Zeit war der Ort beliebt. Trotzdem gibt es am Ufer alte Bauruinen, denn mit der Unabhängigkeit Estlands brach diese Tradition ab.

Es kamen jetzt kaum noch russische Gäste.

Auf dem Rückweg nach Narva begegneten uns dann noch Denkmäler der zweiten Weltkriegs. Am Straßenrand stand auf einem Sockel ein russischer Panzer T 34. Erinnert wurde an den Kampf der Russen mit den Besetzern, den Deutschen. Hier am Fluss ist eine lange wesentliche Schlacht ausgetragen worden.

Etwas weiter schon auf dem Gebiet der Stadt liegen 15.000 deutsche Männer auf dem Soldatenfriedhof am Fluß. Hierher werden auch im Moment noch weitere in Estland gefundene Soldaten umgebettet.

 

Eigentlich wollten wir dann in Narva noch die alte Festung besichtigen, aber es war so warm geworden, dass eine Mittagspause angebracht war. Und danach wurden wir nach Besuch des Touristeninfobüros ganz hektisch, weil deutlich wurde, dass wir uns dringend mit der Einreise nach Russland beschäftigen mußten. Das ist wirklich nicht so einfach, wie wir uns das vorgestellt hatten. Hier gibt es einen Tip dazu.

 

Und der Fund des Tages:

ein kleiner Flugplatz mit einer schön bemalten Wand

 

 

 

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Mechthild Verfasst von:

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