Kühl (Karl: a….kalt) ist es geworden, gerade richtig, um einen Tag in den Museen der Stadt zu verbringen. Breslau hat jetzt 640.000 EW und eine wechselvolle Geschichte. Uns interessieren heute aber in erster Linie die Geschehnisse der letzen Jahrzehnte. Schwierig! Es fängt schon damit, an welchen Namen ich der Stadt gebe, Breslau, den alten deutschen Namen oder Wrocław dessen Buchstaben ł ich kaum aussprechen kann. Breslau und Wrocław sind zwei sehr verschiedene Städte.
Zunächst wurde durch die Nationalsozialisten die für Breslaus Kultur bedeutende große jüdische Gemeinde vernichtet. Zur jüdischen Gemeinschaft zählten 1939 ungefähr 10.000 Menschen, überlebt haben die verschiedenen Pogrome, Massenvertreibungen und Vernichtungen am Ende weniger als 40 Personen.
Als Ergebnis der „Westverschiebung“ Polens wurde die überwiegende Mehrzahl der Einwohner der Stadt ausgetauscht. Die deutsche Mehrheit wurde vertrieben, neue Bewohner aus verschiedenen Orten zogen neu in die Stadt, freiwillig und auch gezwungenermaßen (Repatriierung).
Die neuen Stadtbewohner kamen aus vielen unterschiedlichen Kulturen, mit ganz verschiedenen Erfahrungen und immer auch mit dem Trauma des Krieges und ihrer eigenen Fluchtgeschichte. Im Stadtmuseum werden die verschiedenen Trachten, Aussteuertruhen und Alltagsgegenstände, die die Menschen mitbrachten, gesichert und einiges ist ausgestellt.
Sie kamen aus dem östlichen Grenzland Polens und waren aus den jetzt zu Russland gehörenden Gebieten vertrieben, es kamen Re-Immigranten aus Rumänien und Jugoslawien, aus Belgien und Frankreich, aus Griechenland und es waren aus Arbeitslagern und KZ’s entlassene Polen. Alle brauchten eine neue Heimat. Lange, offensichtlich sehr lang, haben sich die neuen Bewohner in ihrer neuen Heimat nicht sicher fühlen können. Immerhin wurde die Oder/Neisse Grenze erst 1992 rechtmäßig akzeptiert. Wie auch immer, Breslau hat eine besondere Geschichte. Hier habe ich eine interessante Zusammenstellung darüber gefunden.
Immer wieder versuche ich gesicherte Zahlen über die jüdischen Opfer, die deutschen Vertriebenen und Flüchtlinge und die verschiedenen zugezogenen Menschen zu finden. Ich scheitere aus verschiedenen Gründen. Es gibt keine klaren Angaben und die geschätzten Zahlen sind so groß, dass ich es unglaublich finde. Hier in Schlesien kommt mir das Leid, dass der zweite Weltkrieg über Europa und gerade speziell über die Polen und die Schlesier brachte, so nah. Überall kann man noch Hinweise finden und die Museen sind voll davon. Und bei der Suche im Netz finde ich bewegende Berichte von Zeitzeugen. Hier ein Link zu einem Bericht vom Pfarrer der St. Maritiuskirche Pastor Paul Peikert über das Verhalten der Wehrmacht in der Festung Breslau.
Karl und ich erleben Breslau als ein moderne und interessante europäische Stadt, die mit ihrer oft auch schrecklichen Vergangenheit lebt. Wir haben in den Museen auch überraschend kritische Stellungnahmen zur kommunistischen Vergangenheit und den vielfältigen Protesten der Breslauer während dieser Zeit gefunden. Es wurde als weitere Besetzungszeit und von der Sowjetunion aufgezwungen dargestellt.
Ob es da einen Bruch durch die Generationen der Polen / der Breslauer gibt, konnten wir nicht erfahren. Dass Großeltern, Eltern und Kinder da jeweils unterschiedliche Ansichten und Einsichten haben ist aber vorstellbar.
Hier zwei Bilder aus der Zeit der Proteste wärend des kommunistischen Regimes aus dem Stadtmuseum. Da haben sich auch die fröhlichen Protestler auf dem rechten Bild in verschiedene Richtungen entwickelt. Links ist der Anfang der Zwergenschwemme zu sehen.
Im Ethnographischen Museum gab es noch eine interessante Sonderausstellung über Sinti und Roma. Andrzej Grzymala-Kazlowski, ein Spezialist für die Romakultur und langjähriger Mitarbeiter der polnischen Regierung, hat mehrere tausend Exponate, Objekte aus dem Alltagsleben, Postkarten, Fotos und Bücher gesammelt und in Warschau ein Museum gegründet. Ein geringer Teil der Exponate wurde hier ausgestellt. Leider nur in polnischer Sprache, wir hätten gerne mehr verstanden.
Beide Museen, das Stadtmuseum und das Ethnographische Museum geben gemeinsam einen sehr guten Überblick über die Geschichte und Entwicklung der Stadt. Auch zu unserer Frage zur aktuellen Vergangenheit haben wir gute Informationen gefunden.
Den Rest des Tagen sind wir wieder durch die Stadt geschlendert. Hier gibt es noch mal eine Bilderflut. Die Stadt ist wunderbar.
Zusatz von Karl: vieleicht liegt es an meinem Alter, aber wenn ich diese intakten Kirchen- und Universitätsgebäude, die wunderschönen Patrizierhäuser am Rynek, dem zentralen Markt, sehe, kommt mir das unglaublich und fast irreal vor. Ich denke gleichzeitig auch an die Bilder der Ruinen aus der sog. Festung Breslau und weiß ja, dass die deutsche Wehrmacht maßgeblich an dieser Zerstörung beteiligt war. Jetzt sieht alles so normal aus, und ich habe den Eindruck, dass Breslau eine polnische Stadt geworden ist und nicht mehr eine ehemals deutsche Stadt in Polen ist. Der Autor Georg Thum schreibt in seinem sehr informativen und klugen Buch mit dem Titel „Die fremde Stadt. Breslau nach 1945“, dass die in Breslau nach dem Krieg zusammengekommen Menschen erst davon überzeugt werden mußten, dass Breslau eine polnische Stadt werden würde, und dass hierzu die „Erfindung“ einer die polnische Repräsentanz legitimierenden Tradition nötig gewesen sein (p. 38). Der Titel der Ausstellung im Historischen Museum, die wir heute besucht haben, spricht auch in diese Richtung: „1000 Jahre Wroclaw“. Aber immerhin: im Englischen heißt die Stadt meist noch „Breslau“
Und zuletzt noch unsere heutige Ausbeute von Zwergenfotos
Morgen fahren wir nach Bunzlau, um Geschirr zu kaufen (Karl: nein, um es anzusehen! Wir haben schon genug Teller und Schüsseln usw.). Da gibt es auch spannende Geschichten über Industrie und Handwerk und Vertreibung und „rechtlich geschützt“ zu erzählen.
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