nun sind wir ja auch nach Iglau gefahren wegen der sentimentalen Erinnerung an das schon zuvor von Mechthild erwähnte Krokodil, was nach Iglau ging und dort einen Platz fand „mit viel Sonne von oben und keine Feinde“. Also heute nachmittag in den Zoo: kein einziges Krokodil zu sehen!! Stattdessen ein eher tristes Bild mit Gehegen und Käfigen, die doch recht unangemessen schienen für die armen Tiere. Das ganze Gelände am Hang an der Iglau ist allerdings durchaus ansprechend; vielleicht war es dem Krokodil aber doch zu wenig sonnig und es zog weiter…
Nach dem Frühstück gingen wir in den Untergrund. Hinter der Jesuitenkirche ist der Eingang zu dem unterirdischen Ganglabyrinth, welches die ganze Stadt unterminiert. Diese Gänge – von den Berglauten zum Silberabbau während mehreren Jahrzehnten in den Stein gehauen – sind 25km lang, allerdings nur zu einem kleinen Teil erforscht und zu einem noch kleineren Teil zugänglich. Sie sind sicher unter allen Häusern der historischen Altstadt, auch unter dem Rathaus. Den zugänglichen Teil haben wir besichtigt in einer größeren Gruppe mit tschechischer Leitung und deutschem Begleitmaterial. Sehr anschaulich und beeindruckend, wenn man liest, dass die Bergleute vor ein paar Hundert Jahren mit ihren damaligen Mitteln vielleicht 2-3cm pro Tag Vortrieb schafften. Der Hauptzweck der Gänge scheint gewesen zu sein, Keller- und Lagerräume zu schaffen, weniger die Silbergewinnung, die natürlich zum Reichtum von Jihlava beigetragen hat.
Nach dem Abstieg in die Unterwelt mußte ich noch unbedingt den Aufstieg auf den Turm der Kirche des Heiligen Jakobs machen und kletterte dann auf 40m Höhe über recht alte und enge Holztreppen, um von oben den Blick auf die Stadt und das umgebende Land zu genießen. Während des entspannten Genießens schlug plötzlich die Kirchturmuhr einen Meter von meinem Kopf entfernt dreimal, weil es Viertel vor 11.00 Uhr war.
Ab- und Aufstieg in den Beinen schafften wir es noch in das Gustav-Mahler-Haus in einer kleinen Seitenstrasse vom Marktplatz. Mahler stammte aus einem kleinen Dorf in der Nähe von Iglau und seine Familie zog dorthin, weil der Vater einen Destillier- und Schankbetrieb dort eröffnen konnte. Im ehemaligen Wohnhaus der Familie sind Jugend und Werdegang des berühmten (und von mir sehr geschätzten) Komponisten und Dirigenten mit viel audiovisuellem Material dargestellt. Man kann sogar die „Lieder eines fahrenden Gesellen“ über Kopfhörer anhören (zwei Chinesen taten das gerade intensiv). Ein kleiner Vergleich einer alten Ansichtskarte des Iglauer Marktes von etwa 1880 mit dem heutigen Zustand ist auch ganz interessant; auf den riesigen Platz, auf dem früher Häuer standen, hat man jetzt (oder noch in sozialistischen Zeiten) ein unglaublich klotziges Ding gesetzt:
Nach der Mittagspause kam das Regionalmuseum Vysocina an die Reihe (das ist der tschechische Name für die Region, die auf Deutsch „Hochland“ hieß). Die Ausstellung berichtet natürlich über den Silberbergbau in der Vergangenheit, informiert über Geologie und Natur der Region und seine kulturelle Entwicklung. Es ist alles auf tschechisch, aber es gab viele Seiten erklärendes Material auf Deutsch, jeweils überreicht von einer netten älteren Führerin, die allenfalls 10 Worte Deutsch sprach. Es war aber möglich, sich einen guten Eindruck und Überblick zu verschaffen, weil auch an mehreren Stellen deutschsprachige Berichte audiovisuell abgerufen werden konnten.
Auch die Geschichte der Stadt seit der „samtenen Revolution“ von 1989 wurde dargestellt, und außen auf dem Pltz erinenrt ein Gedenkstein an den Studenten, der sich dort aus Protest gegen die sowjetische Besatzung verbrannt hat:
Iglau – es hat Igel im Wappen, der Fluß Jihlava wird auch „Igel“ genannt und die ganze Region hat auch den Namen „Igelland“ – ist historisch wirklich bemerkenswert und hat uns die Möglichkeit gegeben, Hauptthema unserer Reise (Integration, Zusammenleben, Vertreibung) komprimiert anzusehen.
Die Region war ja primär slawisch, seit dieser Volksstamm seit dem 6. Jahrhundert Südosteuropa besiedelt hatte. Etwa ab 1200 kamen dann deutsche Siedler in diese Region und gründeten auf dem rechten Jihlava-Ufer eine neue Stadt, die Bergstadt, die wegen der Silberfunde rasch reich wurde, köngliches Bergrecht erhielt und vorwiegend deutsch war.
Die Deutschen, die sich hier ansiedelten, kamen aus dem süddeutschen Raum. In einem Gebiet von etwa 60 x 20km entwickelte sich ein besonderes, ganz stark deutsch geprägtes Gebiet mit eigener Mundart, das später den Namen „Iglauer Sprachinsel“ erhielt. Im 16. und 17. Jahrhundert war die Amtssprache zwar tschechisch, aber es gab deutsche Schulen, in den Kirchen wurde deutsch und tschechisch gepredigt. Die Patrizier der Gemeinden, die ja auch die Macht verkörperten, waren deutsch, die Mittelschicht und die Armen tschechisch.
Mit dem Entstehen und Anwachsen des tschechischen Nationalbewußtseins ab Mitte des 19. Jahrhunderts änderten sich die Verhältnisse, die deutsche Sprache trat in den Hintergrund, aber in der Zeit der Habsburger Doppelmonarchie blieb die deutsche Bevölkerung, die sich mit dem österreichischen Nationalismus identifizierte, privilegiert, während unter den Tschechen die antiösterreichische Haltung dominierte. Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Ende des Habsburger Reiches gab es erste Zusammenstöße zwischen Tschechen und Deutschen, es kam zur Entmachtung in der Verwaltung und zu Verfolgung und Vertreibung. In der Ersten Republik (Tschechoslowakei nach dem Ersten Weltkrieg) war der größte Teil der Bevölkerung von Iglau tschechisch.
Nach der Machtergreifung der Nazis und deren Okkupation des Gebietes (Protektorat) änderte sich dieses Verhältnis der Nationalitäten wieder, weil sich wohl viele Bewohner, die sich bis dato zur tschechischen Nationalität zählten, für deutsch erklärte. Das hat mich sehr gewundert, das könnte ich mir nur mit Opportunismus erklären, aber Genaueres weiß ich nicht. Immerhin habe ich diese Infomationen aus dem offiziellen Flyer der Stadtverwaltung zum Thema „Deutsche in Jihlava“ entnommen.
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs ist es wohl zu schwersten Verfolgungen der deutschen Minderheit in dieser Region gekommen, und insbesondere Frauen und Kinder wurden gezwungen, zu Fuß nach Österreich zu marschieren. Weil es durch den Hunger und die Strapazen zu vielen Todesfällen kam, wird dies manchmal auch als „Iglauer Todesmarsch“ bezeichnet. Diese „wilden Vertreibungen“ in den ersten Wochen nach Kriegsende werden in dem erwähnten Flyer der Iglauer Stadt so beschrieben: „Nach den Kriegsleiden war die spontane Vertreibung von Deutschen von allgemeiner Zustimmung begleitet. Erst nachdem sich die Emotionen etwas beruhigt hatten, verliefen die Transporte der Deutschen aus Jihlava genauso wie in der ganzen Republik nach den Richtlinien zur Durchführung planmäßiger Vertreibung der Deutschen aus dem Gebiete der Tschechoslowakischen Republik“.
Diese Formulierung ist ja offensichtlich sehr beschönigend und zeigt auch an, dass in der Tschechischen Republik das Kapitel des Umgang mit der deutschen Bevölkerungsgruppe keineswegs bearbeitet ist. Ich habe vor einer Weile mal gelesen, dass eine Gruppe junger tschechischer Wissenschaftler versucht, gegen das allgemeine Wegsehen und Verschweigen anzugehen und eine umfangreiche Studie zu den Vertreibungen nach dem Krieg geschrieben hat; wenn ich diese wieder finde, werde ich die Info hier einstellen.
Mein (vorläufiges) Résumé unserer bisherigen Erfahrungen der Etappen unserer Reise ist, dass immer dann, wenn Volksgruppen, Ethnien oder wie auch immer wie man die bezeichnet, sich abgrenzen, ihre Besonderheiten und Unterschiede betonen und diese über die Gemeinsamkeiten mit den Nachbarn stellen, sie sich auch bevorzugt zum Objekt von Abneigung, Ablehnung und Ausstoßung machen. Die derzeitigen Probleme zwischen Deutschen und Gruppen von Moslems in Deutschland zeigen dies ja auch.
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