heute morgen beim Frühstück in Weiden habe ich die nette Wirtin in unserem Hotel gefragt, ob sich denn die Beziehungen zu den tschechischen Nachbarn nach dem Fall der Grenzen und dem EU-Beitritt geändert hätten. In ihrem Erleben sei jetzt alles „ganz normal“: die Tschechen würden zum Einkaufen kommen, aber auch nicht in Riesenscharen, „die haben doch selbst alles“. Die Deutschen würden rüberfahren, weil Benzin und Zigaretten dort deutlich billiger seien, aber das würde sich auch in Grenzen halten.
Ich hatte in der Stadt an einem sog. „historic point“ gelesen, dass direkt nach dem Krieg die Einwohnerzahl von Weiden um 13.000 höher war als vor dem Krieg: das waren die vertriebenen Sudetendeutschen und Böhmen. Die seien anfangs bei den Weidenern zwangseinquartiert worden, weil es ja gar nicht so viel Wohnraum gab, aber dann wurde auch viel und schnell gebaut. Irgendwelche Ressentiments wegen der Vertreibung gebe es aus ihrer Sicht nicht mehr, diejenigen, die das direkt erlebten, seien ja auch schon fast alle gestorben und die Jüngeren hätten daran nicht viel Interesse. Im Heimatmuseum gibt es eine „Tachau Stube“, in der die Geschichte des böhmischen Nachbarkreises beschrieben wird; aus Tachau waren sehr viele Vertriebene in Weiden gelandet. Beim Gang durch diese Ausstellung und beim Betrachten der Photos und Karten konnte ich durchaus nachfühlen, wie dramatisch und traumatisierend es gewesen sein muss, als Folge der Benes-Dekrete innerhalb kürzester Zeit alles aufgeben zu müssen, persönlichen Besitz und die Heimat und Freunde und Nachbarn. Ein bißchen wird allerdings auch angerissen, dass die Schwierigkeiten zwischen den Tschechen und den Deutschen eine viel längere Vorgeschichte haben als nur das sog. Dritte Reich, und schon nach der Gründung der Tschechoslowakei nach dem Ersten Weltkrieg taten sich die Deutschen sehr schwer damit, jetzt Bürger in einem neuen Land sein zu müssen, das mit der Habsburger Monarchie nichts mehr zu tun hatte. Schon mehrfach auf unserer Reise haben wir den Eindruck bekommen, dass man immer größere historische Zeiträume betrachten muss, um aktuelle Probleme richtig verstehen zu können.
Nach einem kurzen Besuch im Werksverkauf von der Porzellanmanufaktur Seltmann in Weiden (mein Eindruck: lohnt sich nicht, lauter häßliches Zeug) ging es dann los in Richtung Tschechien, und zwar als erstes nach Cheb (Eger). Von der Grenze gar nichts zu merken außer den Schildern und der neuen Sprache auf den Reklamen, kein Polizist für einen Stempel in meinem Paß! Die EU hat auch Nachteile…
In Cheb Mittagspause, Bummel, kleine Mahlzeit. Sehr beeindruckend der Marktplatz mit den alten Gebäuden aus verschiedenen Jahrhunderten, überall auch Hinweise auf berühmte Persönlichkeiten, die schon mal hier waren. Im Haus, in dem jetzt das Eger-Museum ist, wurde Albrecht von Waldstein ermordet, einer der berühmten Heerführer im Dreißigjährigen Krieg (Friedrich von Schiller nannte ihn um in „Wallenstein“). Beim Kaffee sehr interessantes Gespräch mit einem älteren Ehepaar aus Erfurt, die sich gerade im benachbarten Frantiskovy Lazne (Franzensbad) in einem Kurhotel einquartiert hatten, in dem man alle „Anwendungen“ mitbucht.
Weil Autobahnfahren auch langweilig ist und zudem Geld kostet, fuhren wir durch das Egerland über die Dörfer in Richtung Karlovy Vary (Karlsbad), wo wir unsere erste Station machen wollten. Zwischenstopp legten wir ein in der beeindruckenden Wallfahrtskirche Chlum Svate Mari (Maria Kulm), einer im Prinzip großartigen Barockanlage, die allerdings in weiten Teilen noch sehr beschädigt ist und restauriert wird, so dass man nicht alles besichtigen kann. Der Platz vor der Kirche ist übrigens nach Goethe benannt, der sich ja auch dauernd im Egerland herumtrieb und diesen Ort viermal besucht hat.
Dann Ankunft in Karlsbad, Hotel am Flüßchen Tepla, das dann in die Eger mündet. Spaziergang am Fluß in Richtung Stadtzentrum: eine gewaltige Hotelanlage neben der anderen, Kur- und Badehäuser, Kolonnaden, in denen man aus schrecklich kitschigen Schnabeltassen (die man natürlich erst kaufen muß) eins der heilenden Wässerchen trinken kann, die an mehreren Stellen aus kleinen Brunnen strömen, vor denen sich auch Menschenschlangen gebildet hatten. Wir haben heute (noch) nichts davon getrunken, aber das muss ja wohl noch kommen.
Erster Eindruck: Karlsbad versucht, an alte berühmte Zeiten anzuknüpfen, in denen es ein kultureller Mittelpunkt der Region war, in dem sich zahllose gekrönte Häupter und Künstler und Industrielle trafen (der bereits erwähnte Goethe war 13mal da!), aber ich glaube, dass diese Versuche nicht sehr erfolgreich sein werden. Das ganze ist eindeutig sehr russisch dominiert, viele Hinweisschilder auf zu vermietende oder zu kaufende Immobilien sind nur auf kyrillisch verfaßt, viele protzig-kitschige Boutiquen im Kurzentrum spekulieren wohl auch auf diese Kundschaft, und sogar bekannte Firmen wie Rosenthal stellen nur besonders goldene Produkte in die Schaufenster.
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