heute weiter nach Višegrad. Der Name dieser Stadt ist mir schon lange vertraut, seit ich vor vielen Jahren das Buch von Ivo Andric über Die Brücke über die Drina gelesen hatte. Von Goražde aus ist es nicht weit, höchstens 40km, und deswegen hatten wir uns vorgenommen, erst durch Višegrad hindurch nach Serbien zu fahren, um mein altes Wunschprojekt zu erfüllen, nämlich mit der Eisenbahn Šarganska osmica zu fahren, der „Šarganer Acht“. Das wollte ich schon während unseres Serbienaufenthaltes, aber das hätte bei unserer Planung bedeutet, vom Osten Serbiens quer durchs Land in den Westen und dann in den Süden zu fahren. Deswegen machen wir das heute so, dass wir von Bosnien-Herzegowina schnell mal nach Mokra Gora in Serbien fahren, um dort die Eisenbahn zu besteigen.
Das klingt ja ein bißchen verrückt, aber diese Eisenbahnlinie ist schon etwas Besonderes, was man gesehen und erlebt haben muß. Es ist eine reaktivierte Schmalspurstrecke, ursprünglich mal erbaut in der Zeit, als Bosnien unter österreichisch-habsburgischer Herrschaft stand und es überall in Bosnien (und auch Serbien) nur Schmalspureisenbahnen gab. Nach langer wechselvoller Geschichte auch in den militärischen Auseinandersertzungen in dieser Gegend wurde der Betrieb 1974 eingestellt, die Loks gingen in Museen, die Gleise auf der Bergstrecke wurden 1989 abgetragen. Ausgehend von privater freiwilliger privater Initiative erfolgte dann ab Ende der 90er Jahre die Reaktivierung zu einem für den Tourismus in dieser strukturschwachen Grenzregion wichtigem Angebot. Viele Details kann man bei Wikipedia nachlesen.
Wir kamen jedenfalls ohne Probleme wieder in Serbien an, mußten dann bis zur Abfahrt des Zuges aber länger warten, weil entgegen des im Internet abgebildeten Fahrplans der für uns passende Zug nicht um 12.00 sondern um 13.30 Uhr fahren sollte. Nun gut, also warten, Kaffee trinken, Leute beobachten, so kriegt man die Zeit herum. Die Tickets kosteten 1200 Dinar für uns beide, also etwa 5 €, geplante Fahrtzeit 2 Stunden. Es wurden dann immer mehr Fahrgäste, die mitfahren wollten, der ankommende Zug, der uns dann aufnehmen würde, war schon rappelvoll und Dutzende von Jugendlichen stiegen aus und dann neue Dutzende mit uns in den nächsten ein. Ganz offensichtlich ist diese Bahn etwas, was man erlebt haben muss.
Gezogen von einer alten rumänischen Diesellok ging es dann also mit insgesamt vier alten Waggons in langen Kurven und durch viele Tunnels hoch nach Šargan. Wir hatten Plätze in einem alten edel wirkenden Wagen mit geschwungenen Holzsitzen und holzgetäfelten Wänden. Alte originale Schilder zeigten noch die österreichische Herkunft an.
Insgesamt war ich etwas enttäuscht, weil es entgegen meiner Erwartung zuviele Tunnel waren und zuviele Bäume die Aussicht in die Täler einschränkten, aber insgesamt hat es viel Spaß gemacht und in dieser kleinen laut rüttelnden Bahn den Berg hoch- und runterzuschaukeln, ist schon ein tolles Erlebnis. Es gab übrigens meist per Lautsprecher auch Erklärungen zur Bahn und zum jeweiligen Standort auch auf Englisch, aber wegen der Geräuschkulisse durch den Zug waren diese nur schwer zu verstehen, und in den Tunnels war eh‘ alles umsonst.
Danach ging es wieder zurück nach Bosnien zum Hotel in Višegrad. Ich hatte eins ausgesucht direkt an der berühmten Brücke und wir waren dann durch den tollen Ausblick dicht an der Drina ca. 100m entfernt von der Brücke ganz hingerissen.
Wir schlenderten dann noch durch den Teil der Stadt am rechten Ufer der Drina. Dies muss früher der muslimische Teil gewesen sein, aber im letzten Krieg haben ja die serbischen Milizen offensichtlich hier schlimm gehaust. Wie wir schon in Goražde erfahren hatten, sind inzwischen ja alle Dörfer in der Gegend und auch Visegrad selbst zu serbischem Gebiet geworden und die Muslime sind vertrieben oder umgebracht.
Andric hatte in seinem Buch ja beschrieben, wie in vier Jahrhunderten in dieser Stadt und auf dieser Brücke Orient und Okzident, osmanisches Reich und Habsburger Monarchie, Moslems und Orthodoxe immer wieder aufeinander prallten, sich bekämpften und umbrachten. Es lohnt sich, dies Buch noch mal zu lesen, die Thematik ist aktuell wie immer.
Mit Andric wird im übrigen in Višegrad ein unglaublicher Personenkult betrieben. Der größte Teil der Souvenirs in den entsprechenden Shops zeigt ihn, an mehreren Häusern war sein Antlitz als Graffitto aufgemalt, und der Gipfel war der Stadtteil Andricgrad auf einer Halbinsel zwischen den Flüssen Drina und Rzav. Initiiiert und finanziert von einem Regisseur entsteht hier seit 2011 eine monumentale und auf mich unglaublich kitschig wirkende Anlage mit Gebäuden und Denkmälern, die eine Kontinuität von der Schlacht auf dem Amselfeld bis zur Republika Srbska suggerieren und anklingen lassen, dass Višegrad eigentlich zu Serbien gehört. Schrecklich!
Wir waren dann noch in der beginnenden Abenddämmerung auf der Brücke, haben uns dort in der Mitte hingesetzt und das ständige beruhigende Rauschen des breiten Flusses aufgenommen und uns sehr wohl gefühlt. Vor uns die alte Tafel mit der Widmung des Erbauers in arabischer Schrift: „Siehe, Mehmed Pascha, der Größte unter den Weisen und Großen seiner Zeit, erfüllte das Gelöbnis seines Herzens, und mit seiner Fürsorge und seinem Eifer erbaute er eine Brücke über den Drinafluss. Über diesem Wasser, tief und schnellen Laufes, konnten seine Vorgänger nichts erbauen“
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