für heute hatten wir beim Touristen-Informationscenter eine geführte Tour zu Stätten in und um die Stadt gebucht, die bei der Belagerung durch serbische Truppen und die Jugoslawische Volksarmee eine Bedeutung hatten. Der sehr nette und engagierte junge Leiter des Büros hatte mir noch versprochen, sich nach einer deutschen Ausgabe von Ivo Andric‘ Buch Die Brücke über die Drina zu erkundigen, und tatsächlich, er hatte ein Exemplar besorgt, so daß ich Mechthild damit beschenken konnte. Dank‘ dir, Asim!
Unser Führer Edin kam dann und begleitete uns zu seinem Auto, mit dem wir dann durch die Stadt und in die Umgebung fuhren. Zuerst ging es hoch in den nördlichen Teil zur alten Vratnik-Festung, von der man einen phantastischen Überblick über die Stadt hat. Edin sagte, dass er in diesem Viertel aufgewachsen sei und sie als Kind immer auf der Burg gespielt hätten; zu den Spielen gehörte auch, durch eine Schießscharte zu klettern und dann auf einem etwa 2m breiten Mauervorsprung zu spielen dicht am Abgrund.
Die Einladung, dies auch zu probieren, mußte ich doch ablehnen. Zugehörig zum Festungskomplex ist auch die sog. gelbe Festung etwas tiefer. Von hier aus konnten wir einen ersten Überblick darüber bekommen, dass Sarajevo ganz von Bergen umgeben ist, und dass auf diesen die serbischen Truppen ihre schweren Waffen aufgestellt hatten.
Von oben konnte man auch noch einzelne Ruinen des Krieges erkennen, z.B. diese ehemalige Waffenfabrik
Auf dem Wege zu diesen alten „Grundmauern“ kamen wir am Heldenfriedhof vorbei, dieser sehr großen Friedhofanlage, die ich schon in einem vorherigen Beitrag erwähnt hatte. Es ist ein sehr alter moslemischer Friedhof, auf dem zusätzlich jetzt viele Soldaten bestattet sind, die im Bosnienkrieg starben. Es war mir schon aufgefallen, dass moslemische Friedhöfe immer weiße bzw. durch das Alter ergraute Grabsteine hatten. Jetzt lernte ich, dass das daher kommt, dass die Farbe weiß symbolisiert, dass man rein ist bei der Auferstehung.
Es ging dann weiter durch die Stadt und dann hoch zu alten Stätten der Winterolympiade 1984. Auf der Fahrt machte uns Edin darauf aufmerksam, dass wir jetzt den Kanton Sarajevo verlassen und die Republika Srbska erreichen würden. Nach dem Ausgangsschild von Sarajevo kam ein weiteres Schild (mit kyrilischer und erst dann lateinischer Schift) mit der Aufschrift „östliches Sarajevo“ und gleich danach ein großes Schild „Willkommen in der Republika Srbska“ sowie die serbische Fahne.
Diese Schilder sind ein instruktives Beispiel für die Probleme der momentanen staatlichen Gliederung des Landes. Die bosnisch-kroatische Föderation Bosnien-Herzegowina mit ihren 10 Kantonen und die Republika Srbska verhalten sich fast wie autonome Staatsgebilde, und zumindest aus der Sicht unseres bosniakischen Führers hat das absurde Folgen: wenn z.B. jemand im Kanton Sarajevo ein Auto klaut und damit in die Republika Srbska flüchten kann, ist er gesichert, denn die bosnische Polizei darf ihn nicht verfolgen!
Wir waren an den Rest-Ruinen der Bobanlage, die jetzt Sprayern als Darstellungsfläche dient, und bei den Ruinen eines alten Restaurants hoch über der Stadt, wo auch überall serbische Truppen mit Panzern und Geschützen waren. Früher fuhr eine Seilbahn aus der Stadt hier hoch, in 5 Minuten sei man oben gewesen, jetzt ist alles kaputt. Bosnische Vorschläge, die Seilbahn wieder aufzubauen, würden von serbischer Seite kategorisch abgelehnt, denn da oben sei jetzt ihr Land.
Die Fahrt ging dann weiter zu dem berühmten Tunel spasa („Tunnel des Lebens“), der im Jahren 1993 gebaut wurde und die Stadt während der Belagerung rettete, weil Lebensmittel und auch Waffen transportiert werden konnten. Wir waren am südliche Ein- bzw- Ausgang, der am Haus einer Familie im Ort Butmir liegt. Hier ist auch ein Stück Tunnel begehbar, und eine Gedenkstätte informiert über die Hintergründe des Baues. Der Tunnel führte unter der Start- und Landebahn des Flughafens entlang. Wer oberirdisch den Belagerungsring überwinden wollte, war hier den serbischen Scharfschützen recht schutzlos ausgeliefert.
Quasi zur Erholung waren wir vorher noch in das Quellgebiet des Flusses Bosna gefahren (Vrelo Bosne), wo in einer sehr schönen Grünanlage die Quellen des Flusses mit wunderbar klarem Wasser aus dem Berg enstpringen. Möglicherweise ist das Land nach diesem Fluß benannt worden.
Wir haben natürlich viel mit Edin gesprochen, der uns aus seiner bosniakischen Sicht immer wieder aufzeigte, wie instabil und absurd die jetzige Situation sei. Serbien bezeichne sich immer als Verlierer des Krieges, aber faktisch seien sie die Gewinner, weil sie durch den Vertrag von Dayton jetzt alle Gebiete in ihrer Republik hätten, die sie im Krieg besetzten und aus denen auch Bosniaken (Moslems) vertrieben worden waren. Er sehe eigentlich keine Perspektive der Lösung des Problems. Die junge Generation, von der eine Überwindung der alten Konflikte erhofft werden könnte, werde systematisch darin geschult, nationalistisch zu denken. Im serbischen Teil werde vorwiegend das kyrillische Alphabet benutzt, im Föderationsteil das lateinische. Schulunterricht werde in getrennten Räumen oder getrennten Zeiten durchgeführt, er sehe keinen Ansatz dafür, eine gemeinsames Bewußtsein dafür zu entwickeln, Bürger des Staates Bosnien-Herzegowina zu sein.
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