Auf Wiedersehen Serbien… wir wollen auf dieser Reise noch mal kurz in das Land reisen. Da gibt es eine kleine Eisenbahnstrecke – „Šarganska osmica“ , eine Schmalspurbahn südlich des Nationalparks Tara. Im Grundsatz haben wir aber die Reise durch Serbien beendet. Deshalb hier unsere unsystematischen Gedanken zum Land:
Ich hatte, anders als bei den anderen Ländern, ein merkwürdiges Gefühl bei Serbien und sicher auch beim Kosovo. Das hat damit zu tun, dass Serbien für mich der wesentliche Aggressor in den für mich nur schwer nachvollziehbaren Jugoslavienkriegen war. Insbesondere deshalb habe ich auf der Reise durch das Land viel über die aktuelle Zeit gelesen. Die Bücher, die mich begleitet haben, sind unten aufgeführt.
Verstanden habe ich: nach dem zweiten Weltkrieg war die korrekte Bezeichnung des Landes „Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien“ und schon immer ein Gebilde aus ganz unterschiedlichen Teilen. Wir haben Tito schon mal zitiert mit:
„Ich regiere ein Land mit zwei Alphabeten, drei Sprachen, vier Religionen und fünf Nationalitäten, die in sechs Republiken leben, von sieben Nachbarn umgeben sind und mit acht nationalen Minderheiten auskommen müssen.“
Was das heißt, wenn in einem „Vielvölkerstaat“ die Zugehörigkeit zu einer Ethnie und einer Religion wichtig sind, davon habe ich erst in Serbien eine Idee bekommen. Schon in den Jahrhunderten vorher haben die Herrscher gewechselt. Jeder neue Machthaber hat dem Land seinen Stempel aufgedrückt und die Kultur und die Gebäude der Vorgänger entfernt. Immer wieder hat die Bevölkerung protestiert, im Untergrund gekämpft, Nachbarn haben sich gegenseitig diskriminiert und getötet. Niemals auf Reisen hat mich die ethnische Zusammensetzung eines Landes, eines Gebietes, einer Stadt so interessiert wie hier, um die aktuellen Prozesse zu verstehen. Ich habe gefremdelt damit, dass ein Land mehrere Sprachen gleichberechtigt nebeneinander haben kann. Nun, mir ist die Schweiz eingefallen und die Selbstverständlichkeit, mit der meine Züricher Freundin von Schwizerdütsch ins Hochdeutsche und ins Italienische wechselt. Aber das ist doch Folklore, habe ich gedacht, nichts Ernstes. Dieses vielfältige Gemisch unterschiedlicher Menschen hier auf dem Balkan ist immer wieder ausgenützt worden für machtpolitische Interessen, und um aktuelle Konflikte zu verstehen und nicht einseitig zu bewerten und vorschnell zu urteilen braucht es viele Informationen. Unsere Reise durch Serbien hat uns einen kleinen Eindruck verschaft.
Aktuelle soziale Lage?
Wir vergleichen Serbien mit Bulgarien, Mazedonien und Albanien, den Ländern, die wir uns letztes Jahr angeschaut haben. Serbien finden wir z.B. im Vergleich zu Albanien deutich wohlhabender. Die Infrastruktur in den Städten und auf dem Land ist besser: funktionierende Abfallbeseitigung, bessere Straßen (keine „Karlstraßen“), Bürgersteige sind gepflastert, die Bearbeitungmethoden in der Landwirtschaft scheinen besser, immer Maschinen, wir haben keine Pferdepflüge mehr gesehen. Auch die Autos sind neueren Baujahrs. Unser Mercedes Baujahr 98 war oft eins der ältern.
Trotzdem ist auch hier der wirtschaftliche Zusammenbruch sichtbar. Immer wieder erzählen uns Menschen, dass sie Deutschland so schön finden und gerne dahin wollen. Das ist verständlich. Überall sehen wir Industrieruinen. Es wird von hoher Arbeitslosigkeit berichtet. Wirtschaftliche Reformen, soziale Reformen und die Bekämpfung der Korruption kommen offensichtlich nur sehr langsam vorran. Und es gibt keine wirklichen neuen ökonomischen Perspektiven. Der EU-Beitritt scheint die Lösung. Das sehen wir an den Wahlplakaten (Euro… ist ein häufiges Wort auf den Wahlplakaten) und an dem, was als Strategie hinter den vorgezogenen Neuwahlen am 24. April 2016 im Land steht. Wir haben das so verstanden: Die regierende Koalition erwartet erhebliche Stimmenverluste dann, wenn der Beitritt zur EU konkret wird und sie endlich ernst machen muss mit Reformen, um Forderungen der EU nachzukommen. Die regulären Neuwahlen in 2 Jahren würde sie ev. nicht überstehen. Also verschafft sie sich mit Neuwahlen mehr Zeit.
Bei unserer Reise durch das Land haben wir ein Nord-Süd-Gefälle gesehen. Im Norden, so kommt es uns vor, ist der Einfluss der alten Habsburger Monachie deutlicher spürbar als im Süden. Dort sehen wir mehr osmanische Einflüsse mit mehr quirliger Betriebsamkeit. Novo Pazar ist ein extremes Beispiel. Hier, wenige Kilometer vom Kosovo entfernt, leben über 70 % Bosniaken, das sind bosnische Muslimische, die vor einiger Zeit nur Muslime hießen. Damit ist aber keine Religionszugehörigkeit gemeint. Wie auch immer, in Novo Pazar sehen wir viele Moscheen, traditionell gekleidete Frauen und mehr orientalische Kultur.
Überall im Land sehen wir bettelnde oder Müll verwertende Roma. Aber es sind deutlich weniger öffentlich sichtbar wie z.B. in Mazedonien oder Albanien. Sind sie besser integriert? Haben sie im Land größere Chancen? Wir finden es nicht heraus.
Der Tourismus ist sicher einer wichtigen Zukunftsbranchen. Nirgendwo sonst bekommen wir so gutes Informationsmaterial in Englisch und manchmal auch in Deutsch. Die Preise sind außerhalb der großen Städte niedrig. Mir scheint, hier gibt es auch ein Nord-Süd-Gefälle. Und wir sehen viele Polizisten auf der Straße. Zwei Mal werden wir angehalten und ermahnt. Einmal habe ich vergessen, das Licht am Auto anzuschalten, und beim zweiten Mal wird das kaputte Rücklicht bemängelt.
Und was haben wir vom Serbien Kosovo Konflikt bemerkt? Auf den Landkarten, die wir in Serbien bekommen haben, war Kosovo selbstverständlich ein Teil Serbiens. Wenn wir Serben über den Kosovo gefragt haben, wurden alle eher einsilbig und bezogen keine Stellung. „Wir leben in zwei unterschiedlichen Realitäten“, sagte eine unserer Gesprächspartnerinnen. Bei dem versuchten Grenzübertritt ist aber auch positives aufgefallen: hier arbeiteten, anders als ich das erwartet haben, die Serben und die Kosovaren Grenzhäuschen an Grenzhäuschen. Immerhin!
Und was gab es zu essen? Wir haben immer auswärts gegessen und in der Regel in normalen Restaurants. Im letzten Jahr auf dem Balkan hatten wir den Skopskasalat kennengelernt: Gurken, Tomaten, Zwiebeln, oft Paprika, wenig Oliven und immer weißer, frischer, geriebener Käse, mit Salz, Pfeffer, Essig und Olivenöl angemacht. In Serbien erleben wir eine Variante: Srbskasalat. Das sind Gurken, Tomaten, Zwiebeln und scharfe Paprika auch mit Essig und Öl und Salz und Pfeffer angemacht. Das Essen ist sehr fleischlastig, die Portionen sind stets sehr groß, 300 bis 400g sind Standard pro Mahlzeit.
Und die Verständigung? Mit Englisch ist es kein Problem. Die jungen Menschen sprechen fast alle Englisch. Oft sind wir auf Menschen getroffen, die in Deutschland gearbeitet hatten und gerne wieder Deutsch sprachen.
Unser vorläufiges Fazit:
Serbien ist ein interessantes Land, das sich sehr gut bereisen läßt. Wir hatten sehr interessante Begegnungen und viele neue Eindrücke, die unsere vorgefasste Meinung in Frage gestellt haben. Das Land hat eine interessante vielfältige Landschaft. Allerdings scheint es uns auch, als wenn es „das Serbien“ (noch) nicht gibt.
Zum Vergleich: Bulgarien erschien als fest, einheitlich und konsolidiert. Mazedonien rang um seinen nationalen Status („Former Yugoslav Republic of Macedonia“!) und hoffte auf Stabilisierung durch die Aufnahme in die EU. Albanien war ganz damit beschäftigt, nach der früheren jahrzehntelangen Isolation Anschluss zu bekommen an den Westen. Serbien erschien dagegen irgendwie „unfertig“: die Beziehung zum Konsovo ist ungeklärt, ob der ganz stark EU-konzentrierte Kurs der momentanen Regierungskoalition glückt, bleibt abzuwarten. EU-Beitritt erfordert ja eine klare positive Stellungnahme zur Existenz von Kosovo, und immerhin ist in der (serbischen) Teil-Republik Srpska in Bosnien-Herzegowina die Tochter vom gerade als Kriegsverbrecher verurteilten Radovan Karadžić noch Vizepräsidentin. Was diese Seite von der EU und dem Abschied der Träume von Gross-Serbien hält, wissen wir noch nicht.
Bücher, nicht nur über Serbien:
Brennpunkt Balkan, blutige Vergangenheit, ungewisse Zukunft von ORF-Journalist Christian Wehrschütz; lauter Schlaglichter auf die geschichtlichen, politischen, strukturellen und auch persönlichen Situationen in den Staaten des ehemaligen Jugoslavien. Kritisch, auch parteilich und sehr kenntnisreich.
Y von Jan Böttcher; ein gerade in diesem März erschienener Roman, der in Berlin/Hamburg und Pristina spielt, von nichtgelebter Liebe zwischen einem Deutschen und einer Kosovarin und ihren Kindern handelt und immer wieder die persönlichen Sichtweisen und Erlebnisse von Krieg, Vertreibung, Flucht vor dem Hintergrund ganz unterschiedlichen Kulturen aufnimmt.
Vaters Land von dem Slovenen Goran Vojnovic; frisch übersetzt zur Buchmesse Leipzig, die fiktive Geschichte eines jungen Mannes, der entdeckt, dass sein totgeglaubter Vater noch lebt und als General der jugoslavischen Armee ein gesuchter Kriegsverbrecher ist. Auf der Suche nach seinem Vater reist er durch die Länder des ehemaligen Jugoslavien, trifft auf alte Freunde der Familien und muss sich mit deren unterschiedlichen Interpretationen und Einstellungen zur jüngsten politischen Geschichte auseinandersetzten.
Geschichte Jugoslaviens im 20. Jahrhundert von Marie-Janine Calic, ein geschichtliches und auch kritisches Werk das mir, hilft die einzelnen Abschnitte der trubulenten und schrecklichen Geschichte dieses untergegangenen Staates zu Verstehen.
Moderne Geschichte des Balkans. Der Balkan im Zeitalter des Nationalismus von Steven W. Sowards. Fundierte und gut zu lesende geschichtliche Darstellung der Entwicklung auf den Balkan im Prozeß des Untergangs des Osmanischen Reiches
Schreibe den ersten Kommentar