Also, um es vorweg zu sagen, Karl hat sich in Albanien verliebt. Das Land fasziniert wegen der unglaublich schönen variantenreichen Landschaft; Meeresufer, breite Flußtäler, hohe Berge und Schluchten. Wir haben im Land Bücher von Ismail Kadare gelesen, dem bekanntesten albanischen Schriftsteller, seit langem nobelpreisverdächtig. In jedem seiner Bücher wird ein Teil der Geschichte des Landes und der Sitten seiner Bewohner auf höchst anregende Weise beschrieben. Immer wird auch erkennbar, wie stolz die Bewohner Albaniens sind und schon vor der jahrhundertelangen Beherrschung durch die Osmanen waren; schließlich war Skanderbeg derjenige, der den Sultanen mehrere Niederlagen beibrachte. Karl möchte gern noch mal hinfahren und insbesondere den Teil des Landes kennenlernen, den wir nicht bereist haben, den Nordosten, die albanischen Alpen, das Hochland.
In allen Ländern ist die Diskrepanz zwischen arm und reich stark ausgeprägt, was wohl auch deswegen so auffällt, weil es jeweils nur eine sehr große Stadt gibt (Sophia, Skopje, Tirana), in der ein erheblicher Teil der Bevölkerung lebt und wo sich naturgemäß auch diejenigen Menschen sammeln, denen es wirtschaftlich besser geht. In Albanien war noch die „Riviera“ sehr auffällig, weil hier an der Küste wohl schon in Hodscha-Zeiten die Machthaber gern Urlaub machten und hier schon mehr Entwicklung stattfand und Geld investiert wurde. Das setzt sich jetzt durch die Nähe zu Griechenland (Korfu!) und Italien fort und hat auch die bekannten negativen Effekte (Hotelburgen wie damals in Südspanien in Torremolinos). Wenige km weiter findet man dann aber auch schon die unsagbar tristen Roma-Lager.
Stärker als in den anderen beiden Ländern ist erkennbar geworden, dass der Prozeß der Auseinandersetzung mit dem Terrorregime von Hodscha noch geleistet werden muss, dass es aber auch eine Menge politischer Kräfte gibt, die dies verhindern wollen. Die Menschen, die z.B. das Folterzentrum des Regimes zu einer Gedenkstätte umwandeln wollen incl. der Veröffentlichung von Namen, scheinen es sehr schwer zu haben. Das Nebeneinander dieses verfallenden Gebäudes hinter einem Bretterzaun mit einem modernen Hochhausneubau links daneben und einer unglaublich monströsen und häßlichen riesigen nagelneuen orthodoxen Kathedrale direkt auf der anderen Strassenseite war sehr beklemmend. Es ist aber wohl so – und das müssen wir respektieren – dass solch ein Land Zeit braucht für solch einen schmerzhaften Prozeß der Aufklärung.
Die Rolle der Religionen in Albanien ist durchaus bemerkenswert, auch wenn wir nur kleine Eindrücke davon bekommen haben. Hodscha hatte ja stolz das Land zum „ersten atheistischen Land der Welt“ erklärt, Kirchen und Moscheen abgerissen oder zu Sportstätten umgewidmet, Priester ermordet, alles Religiöse verboten. In Tirana gibt es jetzt unseres Wissens je eine katholische und eine orthodoxe Kirche (beides ganz neue ultramoderne und ultrahäßliche Gebäude) und eine Moschee (diese allerdings sehr alt, weil nicht einmal Hodscha sich nicht getraut hat, diese abzureißen). Uns wurde wiederholt vermittelt, dass in Albanien immer schon eine große Toleranz unter den religiösen Gruppen vorhanden gewesen sei, und offenbar ist ja dort kein einziger jüdischer Mensch deportiert oder umgebracht worden. Eine andere Impression ist, dass das ganze System der Blutrache unter der Herrschaft des uralten Regelwerks des „Kanun“ eben nur in erzkatholischen Gebieten im Hochland galt. Wie diese verschiedenen Phänomene zusammen hängen, ist derzeit noch für uns nicht durchschaubar.
Recht wenig (zu wenig) haben wir konkret von „Eingeborenen“ erfahren, wie sie ihre Perspektive sehen in einem Land, in dem es offensichtlich für das eigene Weiterkommen wichtiger ist, wen man kennt und/oder besticht als was man weiß und kann. Es sind wohl sehr viele Albaner gar nicht mehr in Albanien, aber das hat auch Gründe in historischen Entwicklungen der letzten 100 Jahre. In den USA leben jetzt mehr albanisch-stämmige Menschen als in Albanien, und in der Türkei gibt es mehr Menschen mit albanischen Wurzeln als in Albanien, dem Kosovo, Serbien und Mazedonien gemeinsam!
Hervorzuheben ist auch noch, dass es wohl in diesem Land keinerlei Bestrebungen gab und gibt, eine räumliche Ausdehnung auf Kosten der Nachbarstaaten zu planen etwa im Sinne eines „Groß-Albaniens“.
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