Ein Vorteil dieser nicht durchgeplanten langen Urlaubsreise ist es, dass sie uns immer wieder unerwartete kleine Abenteuer und Entdeckungen bringt. Der heutige Ausflug hat uns nach Phoenike gebracht. Es gab da eine kleine Notiz in den Reiseführern und ein Sternchen auf den Karten – ein kleiner Ausflug eben. Es wurde dann doch etwas länger, weil wir suchen mußten und es keine klaren Kennzeichnungen an der Strasse gab. Wir landeten dann auf einmal auf einer nagelneuen breiten Strasse Richtung Norden. Uns war rasch klar, dass dies wohl die falsche Richtung war, aber wir dachten, wir fahren dann eben mal hier entlang, mal sehen, wo wir landen. Die Strasse war etwa 4km lang, kein Auto zu sehen, zwei Arbeiter waren dabei, einen Kreisel zu pflegen, den es auch gab. Rechts und links fruchtbares Tal, immer wieder Schaf- und Ziegenherden und freundlich winkende Hirten. Und plötzlich hört diese neue Strasse auf und geht in einen Feldweg 1. Klasse über, d.h. die Schlaglöcher sind nicht so tief und die Steine nicht so groß. Den Weg schenken wir uns dann, wenden und finden schließlich den richtigen Weg.
Die südwestliche Gegend in Albanien und auch der Teil Griechenlands, der sich anschließt, wurde in der Antike Epirus genannt. Seit den 8 Jhdt. v. Ch. taucht dieser Landstrich mit seinen Stämmen in der Geschichtsschreibung auf. Es gab intensive Beziehungen zum griechischen Staat. Phoenike war eine ihrer größten Städte. Sie liegt, strategisch sehr interessant, auf einem Bergrücken in 272 Meter Höhe. Am Fuß des Hügels trafen sich zwei wichtige Handelsstraßen und der Butrintsee lag, vor der Verlandung, auch vor den Stadttoren. Die Anfänge der Stadt sind auf das 5. Jhdt. v.Ch. datiert. 1924 hat der italienische Archäologe Ugolini sie wiederentdeckt. Teile der historischen Siedlung sind ausgegraben und können besichtigt werden, wenn man den Hügel hinauffährt und den letzten Teil hinaufsteigt. Italienischsprachige Berichte über die Ausgrabung findet man hier. Die große Siedlung bedeckte zeitweilig den ganzen Höhenzug. Viele Menschen müssen da gelebt haben. Das ausgegrabene Theater bot 18.000 Menschen Platz. Neben diesem Theater sind noch eine Basilika und Ruinen von Wohnhäusern aus dem 2 Jhdt. v. Ch. ausgegraben.
Nach dem kurzen, sehr steilen Aufstieg treffen wir zunächst auf einen Wächter, der mit seinem Motorroller unter dem Dach eines kleinen, selbstgebauten Unterstandes sitzt. Man muss sich das vorstellen: oben auf dem Berg in brennender Hitze sitzt er allein auf weiter Flur und wartet auf Besucher! Wahrscheinlich sind wir heute die einzigen und bezahlen 200 Leke pro Nase, wirklich wenig.
Wir wandern wir den Höhenzug entlang und entdecken eine Ausgrabungszone nach der nächsten. Uns leitet ein brauner Weg, auf dem die Wildkräuter und Blühpflanzen offensichtlich mit Unkrautvernichtungsmittel behandelt worden sind. Eine originelle Methode, um die Wildnis in diesem großen antiken Gelände zu beherrschen. Es gibt keine Orientierungsschilder oder Prospekte, die uns informieren. Wir sind die einzigen Touristen hier oben. Gerne hätte ich noch mehr über das frühere Leben hier erfahren. So male ich mir aus, wie sich das ganze Gebiet disneyartig erschließen ließe (Seilbahn, Teilrekonstruktionen aus Beton wie in Knossos usw.). Ich bin froh, dass das noch keiner gemacht hat. Es ist ganz großartig hier so alleine.
Und der Ausblick auf die Vrina-Ebene mit dem Butrint See im Hintergrund auf der einen Seite und dem Blick auf den Höhenzug auf der anderen Seite ist unglaublich.
Daneben gibt es vor Ort immer wieder neue Pflanzen und Tiere zu entdecken: eine fast einen Meter lange Schlange taucht plötzlich am Wegesrand auf, viele Schmetterlinge (Schwalbenschwanz!!), Heuschrecken oder Grillen und verschiedene Sorten Ameisen.
Die Sonne brennt stark und wir verlassen das Gebiet nach einer Stunde wieder. Übrigens haben nicht nur die epiruskischen Menschen die strategische Bedeutung dieses Hügels erkannt, zwischen den antiken Ruinen gibt es viele Bunker aus der Hoxha Ära. In dessen Zeit war der Hügel militärisches Sperrgebiet.
Zu Füßen des Berges liegt die Stadt Finiq. In dem Namen steckt noch die Bezeichnung Phoenike (oder Phoinike), und tatsächlich ist die Stadt im Laufe der Jahrhunderte vom Hügel in die Ebene gewandert. Schon bei der Anfahrt über eine stark von auch tiefen Schlaglöchern gezeichnete Straße fiel uns auf, dass mit Ortsbeginn plötzlich eine neue Asphaltierung begann mit Markierungen und Schildern wie in einer Stadt. Dieser neue Teil ist vielleicht 1 km lang! In Finiq stehen dann auffällig viele große Häuser von offensichtlich wohlhabenden Besitzern. Viele Gärten um diese Häuser sind sehr gepflegt und haben oft zauberhafte Weinlauben. Die Fensterklappen sind fast überall geschlossen und alles macht den Eindruck, als wenn viele Bewohner gerade im nahen Griechenland ihr Geld verdienen und nur zeitweise in Finiq wohnen. Das kommt oft in Albanien vor. Einige Schilder sind eindeutig griechisch beschriftet, und im Reiseführer lese ich später, das Griechisch die übliche Sprache in dieser Gegend ist. Das klärt auch die griechischen Inschriften auf den Grabsteinen des kleinen Friedhofs, den wir gestern gesehen haben.
Auf dem Weg fotografiere ich einige Hügelketten. Die Terrassierung ist deutlich zu sehen. Das ist auch ein Relikt aus der kommunistischen Ära. Zum Anbau von Oliven-, Orangen- und Zitronenbäumen würden diese Terrassen unter großen Mühen angelegt und wohl auch zeitweise künstlich bewässert. Mit der Zerschlagung der großen staatlich organisierten Produktionsstätten wurden viele diese Haine nicht mehr gepflegt. Diese Gegend war bekannt für ihren Orangenblütenduft im Frühjahr. Südfrüchtehaine haben wir leider nur noch wenige gefunden.
Kurz vor Saranda (wir wohnen ja immer noch im Nachbardorf) kaufen wir bei einer alten Frau an der Staße Gurken und Tomaten für den Mittagsimbis auf der Terrasse. Karl hat komplizierte Verhandlungen, erst als ich aus dem Auto steige wird es ganz nett. Sie freut sich mich zu sehen und stellt sich mir als Maria vor. Maria, genauso wie mein zweiter Name ist. Wir umarmen uns uns sie erklärt irgendetwas was ich nicht verstehe. Gerne läßt sie sich fotografieren. Dazu nimmt sie extra ihr schwarzes Kopftuch ab, richtet ihre Haare und stellt sich hinter ihr Gemüse. Eine sehr warmherzige Begegnung und ich bedauere, dass ich sie nicht verstehen konnte.
Es ist herrlich eure Berichte zu lesen. Weiterhin gute Reise! Lieber Gruß Elke
[…] kleine Stadt auf einem Hügel mit atemberaubenden Blick auf die Landschaft unten, wie wir schon in Phoenike kennengelernt […]