Die Politik auf dem Balkan, u.a. in Bulgarien und Mazedonien, ist auch eine, die auf religiöser Akzeptanz beziehungsweise Verfolgung beruht. Christen und Moslems, dieses Thema ist uns immer wieder begegnet. In Skopje gibt es ein Holocaustgedenkzentrum. Welche Rolle haben die Juden in dieser Gesellschaft gehabt? Heute sind wir dieser Frage nachgegangen.
Es gibt die Linie der sephardischen Juden mit einer eigenen spezifischen Kultur. Wir hatten schon mal im Rahmen von „Wege durch das Land“ ein Konzert mit sephardischer jüdischer Musik gehört (Savina Yannatou und das Ensemble Primavera en Salonico), hier sind uns die sephardischen Juden wieder begegnet. 1493 wurde in Spanien ein Edikt erlassen, nach dem alle Juden entweder zum christlichen Glauben übertreten oder das Land verlassen müssten. Mehr als 100 000 Juden emigierten. Manche Flüchtlingströme gingen nach Norden, z.B. nach Amsterdam, Wien und auch Hamburg (als ich da gelebt habe ich mir das Thema nicht begegnet) – andere nach Nordafrika und die größte Gruppe landete im Osmanischen Reich. In Saloniki entwickelte sich ein besonderer Schwerpunkt der Entwicklung der jüdischen Einwanderer, die im Osmanischen Reich übrigens hoch willkommen waren, denn viele waren gut ausgebildet und ein Gewinn für die Gesellschaft. Das Museum erzählt die Geschichte der sephardischen Juden auf der Balkanhalbinsel. Sie behielten Teile ihrer spanischen Tradition bei. Spanisch fand sich in der Sprache (Ladino) und in Nahrungsgewohnheiten und der Musik. In Mazedonien waren viele von ihnen Ärzte oder Apotheker oder kleine Händler. Sie gehörten zur Mittelschicht.
Sie waren zunächst gut integriert und konnten ihren Glauben und ihre spezifische Kultur leben. Erst mit der allmählichen und zunehmenden Schwäche des osmanischen Reiches (ab Ende der 19. Jahrh.) wurde ihre Situation schwieriger. Dies war eine Zeit, in der die Spannungen zwischen den religiösen und ethnischen Gruppen zunahmen. Die Rechte der Juden wurden eingeschränkt und die Gleichbehandlung aufgehoben. Ab da gab es auch schon Auswanderungen in das Gebiet des späteren Staates Israel.
Die Situation der im Land verbliebenen Juden verschlechterte sich immer mehr. Die Wehrmacht eroberte Jugoslawien 1941 und Hitler übertrug die Herrschaft über Mazedonien im April 1941 an Bulgarien. Die bulgarischen Faschisten begannen ganz rasch mit der Erfassung und Deportation der Juden, von denen es der Zeit ca. 8000 Juden im Land gab. 7100 mazedonische Juden wurden 1943 nach Treblinka verfrachtet und alle getötet. Im Museum haben wir einen Film über ein Ehepaar gesehen, dass die Verfolgung überlebt hat. Beide waren, um sich zu wehren und aktiv dem Schicksal entgegen zu treten, Mitglieder der kommunistischen Partei geworden und so als Partisanen im Widerstand gegen die bulgarischen und deutschen Besatzer aktiv. 10 % der Ärzte in der Wiederstandsbewegung waren übrigens Juden. Die Foto und Tondokumente (mit engl. Untertiteln) waren sehr bewegend.
Vorher wollten wir eine Stadtrundfahrt mit den roten Doppeldeckerbussen machen. 11.00 Uhr, Treffen am niegelnagelneuen Triumphbogen (Skopje 2014). Der Bus fährt, wenn eine Gruppe von 5 Menschen zusammenkommt, erklärt uns die freundliche junge englischsprechende Führerin. Wir sind zu zweit und bleiben es auch, d.h. die Tour fällt aus. Aber wir haben Gelegenheit, ein kleines bisschen zu plaudern. Einig sind wir uns, dass Skopje 2014 zu viel auf eine alte Formensprache zurückgreift, die riesigen Statuen, Neoklassizismus, Triumphbögen usw. Da ist eine Chance verpasst worden, der Stadt ein zeitgemäßes Gesicht zu geben. Einige Gebäude wie das Theater sind Rekonstruktionen von Gebäuden, die das Erdbeben zerstört hat und die erst jetzt wieder aufgebaut werden. Ok, dass leuchtet ein, aber der Rest?
Die nächste Gelegenheit zur Stadtrundfahrt ist um 13.00 Uhr. Wir gehen also ins Holocaustgedenkmuseum und sind um 13.00 Uhr wieder da und mit uns noch 4 weitere Interessenten. Nach ganz kurzer Fahrt stecken wir aber im Stau. Die Studierenden der Universität in Skopje demonstrieren gegen eine unsinnige Studienreform. Alle zentralen Straßen der Stadt sind verstopft, nichts geht mehr, die Tour wird abgebrochen, das Geld zurückgezahlt. Wir steigen aus. Die nächste Gelegenheit gibt es Freitag um 11.00 Uhr, wir wollen da sein.
Den Rest des Tages machen wir „kulturfrei“. Bücher lesen im Cafe! Hier wie auch in allen anderen Cafes oder Restaurants tauchen dann Menschen auf, die betteln oder etwas verkaufen wollen. Dort, wo wir heute sitzen, gehen drei kleine Mädchen herum (so ca. 10 Jahre alt) und bieten z.B. Packungen Papiertaschentücher an. Meist kommt sofort das Personal und verjagt diese Menschen, in diesem Cafe können sie von Tisch zu Tisch gehen. Abendbrot gibt’s dann beim Mexikaner. Bedient werden wir von Alexander, einem jungen Deutschlehrer, der in Deutschland aufgewachsen ist und jetzt in Skopje mit seiner kleinen Familie lebt. Er würde nach Deutschland gehen, wenn er in Mazedonien keine Arbeit findet, verrät er uns auf Nachfrage. Dann müßte er aber in Deutschland kellnern, weil sein mazedonischer Abschluß nicht anerkannt würde. Europa hat da noch viel zu regeln!!
Auf dem Weg in die Wohnung treffen wir auf dem Mazedonia-Platz auf die Abschluß-Kundgebung der Studierenden. Musik von der Bühne und kurze Ansprachen mit Zustimmung der Zuhörer; natürlich viele junge Menschen sind da, aber auch eine Reihe älterer. Die Stimmung ist uns sehr vertraut.
Schreibe den ersten Kommentar