Kunst und Schären

ich habe schlecht geschlafen, das Bett ist ungewohnt klein und es ist schon so früh hell. Die Mittsommerzeit nähert sich ganz offensichtlich. Nun, wir machen uns auf den Weg in die Stadt, probieren mal die Strassenbahn, stellen dann aber in der Tram fest, dass seit ein paar Tagen eingeführt worden ist, dass der Fahrer keine Tickets mehr verkauft. Deswegen müssen wir schwarz fahren, wofür wir aber echt nichts können. Nach kleinem Frühstück mit Kaffee und Muffin am Bahnhof gehen wir dann zur Esplanade, um Mode zu beschauen (s. Mechthild). Ich sitze auf einer Bank dicht dabei, kann kein Model sehen (nur manchmal einen Kopf über der Menge der zuschauenden Frauen), beobachte das Publikum und lerne: alle Kleidung mit zweifarbigen Ringeln oder Längsstreifen (Schlafanzüge?) oder großen bunten Blumen kommt von Marimekko!

Danach besuchen wir die Uspenski-Kathedrale in der Nähe des Marktplatzes, die größte russisch-ortodoxe Kirche Nordeuropas, erbaut Mitte des 19. Jahrhunderts, als Finnland noch Provinz des Zarenreiches war. In der Umgebung gibt es noch einige Zeichen der russischen Vergangenheit, da würde ich gern noch mal in Ruhe nachschauen, heute fallen mir die Strassenschilder auf: dass alle Schilder finnische und schwedische Namen haben, habe ich gleich am ersten Tag bemerkt, aber hier heißt die Sofienstrasse auch noch Sofinskaja ulitsa.

Es ist ungemütlich kalt geworden durch den ziemlich starken Wind, deswegen gehen wir schnell ins Cafe Engel. Auch hier bedienen wie bisher immer junge und sehr freundliche Frauen, die selbstverständlich ein großes Glas Wasser zum Espresso reichen; ebenso selbstverständlich bezahlt man auch hier selbst kleine Beträge mit Karte. Die Finnen sind wohl auf dem Weg zum bargeldlosen Zahlungsverkehr, die 1 und 2 Cent Münzen haben sie ja schon abgeschafft.

Der weitere Weg zum Kunstmuseum Ateneum führt durch das Altstadtviertel mit allen renommierten Marken und großen alten Häusern oft noch mit Jugenstilelementen.

 

„Kullervo“ bezieht sich übrigens auf eine Figur aus dem Nationalepos Kalevala, einem gewaltigen Werk mit fast 23000 Versen, die Elias Lönnrot zusammenfaßte (Mitte des 19. Jahrhunderts) und in dem heldenhafte Mythen ab der Schöpfung der Welt in Runengesängen vorgetragen werden können. Hat mich sehr an das Gilgamesch-Epos erinnert; nach Rückkehr von dieser Reise werde ich es mir mal gründlich vornehmen (es gibt eine hervorragende deutsche Übersetzung von Lore und Hans Fromm).

Dann sind wir schon im Kunstmuseum Ateneum, wo die bedeutendste Kunstsammlung Finnlands zu sehen ist. Das ist spannend arrangiert, und man kann die junge Geschichte des jetzigen Finnland (existiert ja erst seit 1917!) an den einzelnen Kunstepochen nachvollziehen. Bürgerkrieg, wirtschaftliche Depression, „Winterkrieg“ gegen Sowjetrussland mit dem Verlust grosser Teile Kareliens und der Flucht von Hundertausenden in den Westen, „Fortsetzungskrieg“ mit der deutschen Wehrmacht gegen die Sowjetunion, „Lapplandkrieg“ gegen die Deutschen bis April 1945. Die Verarbeitung dieser Realitäten durch die finnischen Künstler ist beeindruckend. Aus der Fülle der tollen Arbeiten nur diese beiden:

Da inzwischen die Sonne schien und es warm geworden war, entschlossen wir uns, noch eine Schiffahrt zu buchen. Mit etwas Umwegen infolge verfrühten Ausstiegs aus der Tram kamen wir noch rechtzeitig am Hafen an, um auf der MS Doris eine 2 1/2 stündige Fahrt (mit Dinner!) zu buchen, die uns durch die Schären führte (von denen mindestens 300 zum Stadtgebiet gehören. Das war toll! Erstaunlicherweise standen auf vielen doch einzelne Häuser

wobei das ja allenfalls Ferienhäuser sein können, denn was soll man auf den Schären anders machen als sich sonnen und saunieren? Aber es gibt wohl doch auch einige mit Badebuchten, und die Schären sind als Freizeit- und Erholungsziel außerordentlich beliebt.

Gegen 21.30 Uhr waren wir zurück, müde genug, um uns ein Taxi zur Wohnung zu leisten, aber nicht müde genug, um im benachbarten Cafe nicht noch ein Gläschen Wein zu schaffen entsprechend dem dortigen Motto

Noch eine Fundsache zum Abschluß

und als Beweis, dass ich auch bei der Reise anwesend bin

Bis morgen!

 

 

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