nach Frühstück in der Morgensonne
spazierten wir in den Ort, um mal zu sehen, was es alles heute gab. Viele alte schöne originale, meist einstöckige Holzhäuser konnten wir sehen.
Viele hatten geflaggt, weil heute ja Feiertag ist
Dass solche Häuser eine erhebliche Anforderung an die Erhaltung stellen, weil das Holz ja alle paar Jahre gestrichen werden muss, war deutlich, und energetisch (Wärmedämmung) war da sicher viel zu tun. Der Verfall mancher schöner Häuser war auch traurig, und ob sich ein Käufer für dieses Schätzchen findet, ist zweifelhaft.
Natürlich gingen wir auf dem Weg Richtung Bahnhof auch über den Friedhof, der in der Hitze wieder ein Ort der schattigen Ruhe war. Sehr viele alte Gräber, hier immer mit oft großen Eisenkreuzen, viele verfallene Grabstellen. Insgesamt aber ein Ort des Friedens, und wieder geht es mir so, dass ich mit Erschrecken an die deutschen Friedhöfe denke, auf denen die soziale und Nachbarschaftskontrolle sich austobt in der Größe der Granitplatten und dem Ausmaß der Perfektion, in dem die Gräber geharkt und unkrautfrei sind. Ich bin da wohl etwas geschädigt, habe ja auch in vielen Jahren meiner Jugend mit meinem Vater, der Friedhofsgärtner war, auf dem Dorffriedhof gearbeitet.
Diese orthodoxe Kirche stand in der Westecke des Friedhofs, und zwei rostige alte Kapellen waren die Grabstellen alte russischer Familien:
Vor dem Museum der Stadt konnte ich dann auf dem Rückweg noch dieses alte Radkreuz aus dem Jahre 1769 photographieren; in West-Estland hat man viele dieser alten Radkreuze auch aus dem XIII. Jahrhundert gefunden, an denen man den jahrhundertealten skandinavischen Einfluß in dieser Gegend sehen kann:
Der Bahnhof Haapsalu war dann das nächste Ziel, und wie schon gestern erwähnt: ein Phänomen! Der Bahnsteig ist über 200m lang und im Jahre 1904 extra wegen der Ankunft des russischen Zaren gebaut worden. Jetzt ist er stillgelegt und in ein Eisenbahnmuseum umgewandelt. Auf mehreren Gleisen stehen etwa ein Dutzend alter Loks und Waggons, meist russischer Herkunft, auch eine deutsche Lok, von 1943 in München bei Krauss-Maffei gebaut, war dabei (diese Serie 52 wurde im Krieg als „Kriegsdampflok“ eingesetzt).
Der Bahnhof und das Eisenbahnmuseum sind unbedingt einen Besuch wert. Die Architektur dieses Holzgebäudes ist beeindruckend
und im Museum für Ilon Wikland, das wir dann besuchten, fanden wir das Bild wieder:
Haapsalu ist der Ort, der unsere Bilder von der Welt Astrid Lindgrens geprägt hat. Ilon Wikland hat fast alle ihre Bücher illustriert. Sie wurde 1930 in Tartu geboren und verbrachte einen wesentlichen Teil ihrer Kindheit bei den Großeltern hier in Haapsalu. Es scheint eine zunächst glückliche unbeschwerte Kindheit gewesen zu sein. Ein Ende bereitete dem der Krieg mit dem Terror in Gefolge der Besetzung durch die Russen und die Deutschen. Hier gibt es mehr darüber zu lesen. 1944 floh sie mit 14 Jahren alleine nach Schweden, wo sie nach ihrer Ausbildung Astrid Lindgren kennenlernte. Erklärtermaßen kamen die Anregungen für die Buchillustrationen der Lindgrenbücher aus den Bildern ihrer Kindheit. Wenn man so durch den Ort geht und dann die Bilder anschaut, denkt man: ja genauso muss es gewesen sein. Hier ein Bild von ihr und die Kirche im Original (in der Kirche arbeitete ihr Großvater als Kantor):
Überall in Happsalu sind Büllerbü und Krachmacherstraße. Ich wurde etwas sentimental, als ich die Originalzeichnungen der Bilder gesehen habe, die meine Kindheit begleiteten. Und meine eigenen Kinder haben sicher auch noch diese Bilder im Kopf. Für die Enkelkinder sind die Wiklandbilder aus den Kinderbüchern nicht mehr so bedeutsam. Heute gibt es andere Helden und Heldinnen .
Im Museum gibt es einen Film, in dem die Illustratorin über ihr Leben berichtet und betont, wie wichtig ihr ihre estnische Herkunft ist und wie glücklich sie ist, dass Estland wieder ein freies Land ist. Erst 1989 reiste sie wieder in ihren alten Heimatort. Estland hat die Autorin lange nicht als Estin akzeptiert, sie war ja vor der sowjetischen Armee nach Schweden geflohen und hatte sich so verdächtig gemacht. Nun, diese Zeit ist vorbei und Frau Wikland hat Ort und Museum häufig besucht und 800 Originalzeichnungen gestiftet, die wir heute anschauen konnten.
Das Museum Ilon’s Wunderland ist ein wunderbarer Ort, an dem Kinder nicht nur anschauen, sondern auch selber basteln, malen, toben und ausruhen dürfen. Sehr empfehlenswert.
Jetzt hatte wir schon so viele spannende Erlebnisse, aber es fehlt noch das Mittsommerfest auf der Burg. Interessanterweise äußerten Mitbewohner in dem Guest House aus Finnland, dass sie das nicht besonders interessieren würde, das würden sie ja kennen! Nun denn, wir gingen gegen 20.00 Uhr zur Veranstaltung. Die alte Bischofsburg, die im 13. Jahrhundert erbaut und dann auf Befehl eines Zaren geschleift wurde, war schon beeindruckend
und dann hörten wir Popmusik live und vom DJ, erlebten Nancy live (jeder schien sie zu kennen und sang mit),
tranken das eine oder andere Bier und warteten, bis das Feuer bei Sonnenuntergang (ca. 23.00 Uhr) angezündet wurde, ganz prosaisch und leichtsinnig mit Brennspiritus aus der Flasche ins Feuer gesprüht
Alles in allem für mich etwas enttäuschend, ich hatte gedacht, das Ganze wird so feierlich, dass die Esten heidnische Tänze aufführen und über das Feuer springen, aber na ja. Und dunkel war es immer noch nicht, wie diese Aufnahmen auf dem Rückweg gegen 24.00 Uhr beweisen
Wir haben dann noch mit schwedischen Mitbewohnern im Garten gesessen und über unsere Reisen geschwätzt, die meinten trocken, wir sollten erstmal weiter nördlich sein, da würde die Sonne überhaupt nicht untergehen. Nächstes Jahr!
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