Zamość – die polnische Perle der Renaissance

Braucht jemand einen Tip für ein ruhiges aber doch interessantes Wochenende in einer Stadt? Zamość (65.000 EW) ist da genau das richtige. Und um Polen richtig lieben zu lernen sollte man auch hierher fahren. Nicht gerade im Sommer zur Haupturlaubssaison, aber im Frühling wie jetzt, bei Sonnenschein – ganz wunderbar.

Es sind einige alte Paare zu Gast, verschiedene Schulklassen lernen einen Teil der polnischen Geschichte kennen, Familien machen mit ihren schwerbehinderten Familienmitgliedern einen Ausflug, pubertierende Jugendliche verbringen ihre Freizeit, kleine Mädchen und Jungen trainieren schnell zu laufen, indem sie hinter Tauben herstapfen, ganz alte Menschen wärmen sich in der Sonne und gehen langsam, junge geschäftige Menschen mit Aktenkoffern eilen von recht nach links oder umgekehrt

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und zwischen all diesen Menschen auch noch junge, weiß gekleidete Erstkommunionskinder. Stunden haben Karl und ich auf dem Marktplatz in der Sonne zugebracht und nicht in unseren Büchern gelesen, sondern der Gesellschaft um uns herum zugeschaut. Wieso übrigens die Erstkommunion hier Dienstags und auch am Mittwoch gefeiert wird, finde ich ungewöhnlich. Gemeinhin ist das doch ein Fest für den Sonntag. Nun wir sahen gestern in der Kathedrale den Feierlichkeiten zu und auch heute sahen wir auf dem Markt noch Kinder in der typischen „Tracht“.

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Der Markt mit seinen 100 x 100m Größe ist das Zentrum der alten Stadt, die ab 1580 von Jan Zamoyski, einem polnischen Adeligen und hohem Beamten im Staat gebaut, na ja besser beauftragt wurde. Gebaut hat er persönlich sicher nichts. Er beauftragte den venezianischen Baumeisters Bernardo Morando und der schuf diesen durchdachten idealen Ort, von dem nach so vielen Jahrhunderten immer noch erstaunlich viel erhalten ist. Übrigens ist das jetzige Stadtoberhaupt auch ein Nachkomme dieses Stadtgründers, aber ihm gehört die Stadt natürlich nicht mehr und im ehemaligen Fürsten-Schloß ist heute das Gericht.

Hier einige Fotos der Stadt.

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Auch die klassischen Katastrophen der Neuzeit, der zweite Weltkrieg und der Kommunismus, konnten den Gebäuden nicht viel anhaben. Allerdings ist den Menschen der Stadt übel mitgespielt worden. Mehr als die Hälfte der Einwohner waren Juden. Im September 1939 war die Stadt für ein paar Tage von der Roten Armee besetzt entsprechend dem Hitler-Stalin-Abkommen, dann zog diese wieder ab und ein Großteil der Juden floh mit ihnen; nahezu alle anderen wurden deportiert und umgebracht. Nur sehr wenige überlebten den zweiten Weltkrieg. Und auch die restliche polnische Bevölkerung sollte aus der Stadt vertrieben werden. Im Rahmen der Germanisierung wurde die Stadt in „Himmlerstadt“ umbenannt und neue deutsche Siedler zogen in die alten Gebäude. Am Ende scheiterte diese unglaubliche Aktion.

Das Touristenbüro vermietet gratis Audioguides, mit denen man einen langen Spaziergang durch die alte Stadt machen kann und in 28 Stationen viel hört und kennenlernt. Beispielsweise haben wir gehört, dass Jan Zamoyski, der Fürst, dem Zamość gehörte, einmal den schwedischen König ganz souverän vor der Stadtmauer empfing, aber keine Sitzgelegenheiten bereit stellte, so dass der König im Stehen essen mußte. Das war die Erfindung des kalten Bufetts, und auf polnisch heißt das auch „schwedischer Tisch“!

Unser Spaziergang durch die Stadt dauerte mehr als 4 Stunden, unterbrochen durch einen ausführlichen Mittagsschlaf und angereichert durch zwei Museumsbesuche. Am aufschlussreichsten davon war sicher der Besuch der alten Synagoge. Sie ist frisch renoviert, hat aber nur wenig Inneneinrichtung. Aber es gab umfangreiche Informationen zum Leben der Juden der Stadt im Laufe der Jahrhunderte in elektronischer Form. Zamość war lange ein starkes jüdisches Zentrum mit zeitweise fast 65% jüdischen Bewohnern, aber jetzt ist die aktuelle jüdische Gemeinde zu klein, um einen Gottesdienst abzuhalten (keine 10 Männer). Der freundliche jüdische Museumswärter sagte: es kann aber noch kommen.

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Ich habe heute so viele verschiedene Eindrücke bekommen und so unterschiedliches gesehen und gehört, ich mag es nicht wiedergeben oder mich für einzelne Teile entscheiden. Aber ich kann einen Besuch der Stadt wirklich warm empfehlen.

Um die historische Altstadt herum ist die Neustadt gewachsen. Hier finden sich die normalen Stadtansichten wie sonst in Polen auch. Renovierte Plattenbauten, kleine Einfamiienhäuser, Mehrfamilienhäuser und moderne Wohn- und Geschäftsgebäude.

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Die Altstadt ist seit 1992 auf der UNESCO-Liste der Weltkulturerben. Anfangs habe ich (Karl) gedacht, dass das eine richtige Schwemme ist mit diesen Erbstücken, aber hier ist mir noch mal deutlich geworden, wie wichtig diese Stätten sind: sie können die großartige Geschichte vieler Orte und Länder zeigen, auf engem Raum wird vieles deutlich, und eigentlich meine ich, dass jeder, der eine Reise ins Ausland macht, dort mindestens ein Weltkulturerbe besuchen  m u s s , um zu sehen, dass überall in der Welt hervorragendes geleistet wurde oft schon lange, bevor gleichwertige Leistungen im eigenen Land erbracht wurden. Das kann helfen, die eigene Selbstüberschätzung zu revidieren.

 

 

 

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Mechthild Verfasst von:

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