Résumé der beiden Etappen

jetzt ist schon wieder fast 1/4 Jahr seit der Rückkehr aus Slowenien vergangen, es gab viele Berichte an Freunde, viele Gespräche über unsere Eindrücke, viel weiterführende Lektüre – Zeit für eine Zusammenfassung und ein Fazit. Im wesentlichen hat uns ja der Balkan gesehen incl. Bulgarien und Albanien, am längsten waren wir im Rest von Jugoslawien.

Um mal mit dem wichtigsten Thema, das diese Region betrifft, den sog. „Flüchtlingsströmen“, anzufangen: wir haben davon doch sehr wenig direkt erfahren. Wir wußten bei der ersten Reise, dass Bulgarien die Grenzen dicht machte, um die Flüchtlinge aus der Türkei abzuhalten, haben aber keine Grenzbefestigungen gesehen. Auch die Gruppen von Flüchtlingen auf ihren Trecks durch die Länder sind uns in der ersten Etappe nicht begegnet, und in der zweiten Etappe in 2016 war die sog. Balkanroute schon gesperrt. Als wir in 2015 in Macedonien waren und z.B. einen Ausflug nach Gevgelija machten, waren wir fast an der griechischen Grenze gegenüber von Idomeni, dem jetzt bekannt-berüchtigten griechischen Grenzort, wo seit Monaten Tausende von Flüchtlingen unter katastrophalen Bedingungen leben müssen; aber damals war das noch nicht so. Manchmal hörte ich z.B. In Serbien von „Einheimischen“ die Meinung, man solle doch einfach alle Flüchtlinge in den Zug setzen nach Deutschland, Frau Merkel wolle sie doch alle haben.

Anmerkung: das Wort „Flüchtlingsströme“ habe ich in Anführungszeichen gesetzt, weil es ein Beispiel dafür ist, wie bestimmte Begriffe bereits etwas suggerieren, hier nämlich etwas Bedrohliches, was uns wegschwemmen wird, gegen das man am besten hohe Deiche errichtet. Lesenswert hierzu von Elisabeth Wehling: „Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht“, Köln 2016.

Aber das Flüchtlingsproblem allgemein gibt es ja in der Region seit Jahrzehnten und es ist überall aktuell anzutreffen. Immer wieder wurden Menschen aus ihrer Heimat vertrieben: Türken aus Bulgarien, Ungarn aus Serbien, Deutsche aus „Donauschwabenland“, Serben aus Kroatien, Bosniaken aus Serbien, Albaner aus dem Kosovo usw. usw. „Grenzüberschreitende Migration“ nennt das wohl die Forschung (z.B. nachzulesen in dem von Gestrich und Krauss herausgegebenen Band „Migration und Grenze“, Stuttgart 1998).

Diesen Teil der Migration mit den Auswirkungen in die Gegenwart haben wir durchaus mitbekommen, wenn z.B. Macedonier wütend nach „drüben“ (= Griechenland) zeigten, wo doch ihre Heimat sei und die Griechen an der Raststätte nach „drüben“ zeigten (= Mazedonien), wo doch ihre Heimat sei, oder Bosniaken in Gorazde traurig berichteten, wie ihre noch muslimische Stadt von serbischen Dörfern umgeben sei, aus denen alle Muslime vertrieben worden seien, oder wenn der alte Donauschabe, der bei der Mercedes-Reparatur in Vrabs in der serbischen Provinz Vojvodina hinzukam und übersetzte, davon andeutete, dass er „in den schlimmen Zeiten“ aus Rumänien fliehen mußte.

Am bedrohlichsten wirkte diese Thematik auf uns in Bosnien-Herzegowina, wo die eine Gruppe (Serben) immer noch deutlich macht, dass eigentlich der Rest auch ihnen zustünde, und wo die andere Gruppe (Bosniaken) hierauf mit Zorn, Verbitterung, Angst reagiert.

Hier hatten wir am meisten die Phantasie, dass neue (auch bewaffnete) Auseinandersetzungen passieren könnten. Das liegt auch im wesentlichen an dieser irren Konstruktion des Staatsgebildes im Dayton-Vertrag mit der einen Republika Srpska und der Konföderation Bosnien-Herzegowina mit ihren 10 Kantonen. Am schlimmsten fanden wir, dass es keine Bereitschaft zu geben scheint, so etwas wie eine gemeinsame Identität als Bürger des gemeinsamen Staates zu entwickeln. Wenn die serbischen Kinder einer Schule kyrillisch lesen und schreiben und die bosnischen Kinder der gleichen Schule lateinisch und beide Gruppen in getrennten Räumen ganz unterschiedlichen Geschichtsunterricht bekommen, kann das doch gar nicht gut gehen.

In den vielen Gesprächen seit der Rückkehr tauchte bei uns immer mal wieder die Frage auf, ob denn das Wissen über Migration auch im eigenen Land das Verständnis für das Befinden und Verhalten neuer Migranten fördere, aber der allgemeine Eindruck war der des genauen Gegenteils. In der ZEIT, die an meinem Geburtstag am 21.02.1946 zum ersten Mal erschien, wurde erwähnt, dass 15 Millionen (!) Menschen in Deutschland praktisch auf der Flucht seien, aber der Kampf ums Überleben und der ökonomische Wiederaufbau haben wohl verhindert, dass man sich um das seelische Befinden kümmerte. Fremde bleiben offenbar Fremde noch lange Jahre. Ich habe in Erinnerung, dass es in meinem kleinen niedersächsischen Geburtsort am Dorfrand „die Baracken“ gab, und in denen lebten die Flüchtlinge, und dass man ein Flüchtling oder ein „Zugereister“ war, wußte die einheimische (ältere) Bevölkerung noch nach Jahrzehnten.

Das führt zu dem anderen großen Thema, das wir in allen durchreisten Ländern trafen, dem neuen (oder besser wiederbelebten) Nationalismus. Der Zusammenbruch von Jugoslawien hat nationalistische Haltungen in allen Regionen dieses Staatsgebildes wieder auftauchen lassen, die Tito offensichtlich durch Verleihen von Sonderrechten und auch mit Gewalt so eben gebändigt hatte. Zu diesem Gebiet kann ich als Lektüre nur dringend empfehlen das Buch „Moderne Geschichte des Balkans. Der Balkan im Zeitalter des Nationalismus“ von Steven W. Sowards, Seuzach 2004. Hier werden auch die historischen Wurzeln der gegenwärtigen nationalistisischen Strömungen aufgezeigt.

Aber der Nationalismus ist ja kein Balkan-Problem, denken wir an Ungarn (Viktor Orbán), Polen (Jarosław  Kaczyński und seine rechtspopulistische PiS), Frankreich (Marine Le Pen), Deutschland (AFD), Großbritannien (Brexit) und und und… Ist es die Angst vieler Menschen vor den Umwälzungen der alten vertrauten Strukturen, die durch die sog. Globalisierung ausgelöst wird? Ist es das (vorbewußte?) Gespür dafür, dass die Spaltung der Welt in Arm und Reich noch zu weiteren massiven Konflikten führen wird und führen  m u s s ?. Das wird uns weiter beschäftigen.

Für mich war als drittes Thema noch bedeutend von Anfang an, welche Rolle eigentlich die EU in diesen ganzen Prozessen spielt. Bulgarien, Slowenien, Kroatien, Slowakei und Tschechien sind Mitglied, Albanien, Serbien, Macedonien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro und Kosovo sind Beitrittskandidaten auf unterschiedlichem Level des Beitrittsprozesses. Offensichtlich fließen ja Hunderte von Millionen Euro in diese Staaten, aber was bewirken sie? In Bulgarien und Kroatien haben wir wunderbare neue Autobahnen gesehen, die Infrastruktur wird deutlich verbessert, aber dabei scheint ja auch sehr viel Geld in den Taschen korrupter Menschen und Organisationen zu verschwinden. Dies haben wir natürlich nicht direkt erlebt, aber die erhältlichen Presseinformationen lassen hieran keinen Zweifel. Immerhin: es gibt demokratische Gegenbewegungen, man läßt sich das offensichtlich nicht mehr einfach so wie im Kommunismus gefallen, Regierungen werden abgewählt oder verjagt, viele Menschen möchte in Ländern leben, wo sie Arbeit finden und mit demokratischen Rechten leben können. Ob die Finanzströme der EU nun „die Richtigen“ treffen oder nicht, bleibt zweifelhaft. Und ob die EU tatsächlich erstrangig etwas für die demokratischen Tendenzen in der Ländern tun will oder sich doch primär auf den freien Verkehr von Waren und Gütern, weiß ich nicht.

Durch Gespräche in mehreren Ländern und durch Informationen aus dem Netz ist dann gegen Ende der Reise und danach deutlich geworden, dass faktisch überall auf dem Balkan europäische Grundrechte erheblich eingeschränkt werden. Kritische Journalisten werden inhaftiert, kritische Zeitungen verboten. Auf www.reporter-ohne-grenzen.de kann man für jedes Land nachsehen, wie die Pressefreiheit massiv eingeschränkt wird (und auch bei uns häufen sich ja die nicht nur verbalen Angriffe von AfD oder Salafisten auf Journalisten („Lügenpresse“). Das könnte man ja auch so sehen, dass sich die alten und neuen europäischen Länder in manchen Punkten auch annähern….

Fkt aber ist und bleibt als Erinnerung and iesen Balkan: faszinierende Länder, faszinierende Menschen, wunderbar!! Ich selbst würde da gern jedes Jahr wieder hinfahren, um die Prozesse zu verfolgen, und alle Leser dieses Blogs kann ich nur ermuntern, auch mal hinzufahren und den Schwerpunkt auf die Länder zu legen, die am Anfang stehen und es besonders schwer haben (Mazedonien, Albanien) und weniger auf die touristischen Hochburgen z.B. in Kroatien.

 

 

 

 

 

 

 

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