Die Piva, die Tara und die Drina haben uns heute begleitet. Wir sind von Zabljak / Montenegro nach Gorazde / Bosnien Herzegowina gefahren und fast die ganze Zeit ging die Straße an einem dieser Flüsse entlang. Die Tara ist 150 km lang und entspringt an der montegrinisch-albanischen Grenze, südlich von Kolasin. Gestern waren wir ja über sie geflogen und hatten uns dabei einen Abschnitt der spektakulären Schlucht von oben angeschaut. Während die Tara in westliche Richtung fließt, sind wir immer nach Süden durch das Gebirge zurückgefahren. Über Serpentinen, auf und ab, wie üblich, dieses Mal aber bei gutem Wetter. Wir haben den kleinen Fluss Komarnica überquert und dann ging es für uns auch nach Norden. Die Komarnica fließt in die aufgestaute Piva.
Dieser große Piva – Stausee war unser erstes Etappenziel. 1971 begann der Bau der Staumauer bei Mratinje / Montenegro an der Grenze zu Bosnien Herzegowina. Es entstand ein fast 35 km langer und knapp 199 Meter tiefer Stausee. Wegen des Stausees mussten das Kloster Piva und die Stadt Plužine verlegt werden. Das Kloster ist im 16.Jh. erbaut worden. Es wurde Stein für Stein abgebrochen und neu aufgebaut. Auch die Fresken sind für den Neubau des Klosters abgelöst und auf einer Fläche von 1260 m² wieder aufgebracht worden. Das hat jetzt den überraschenden Effekt, dass das Gebäude von außen neu aussieht, im Inneren aber den Charme alter orthodoxer Kirchen hat. Genau so wie ich es in diesem Urlaub schätzen gelernt habe. Die Räume strahlen eine meditative Stille aus. Hier wurde die Ruhe etwas gebrochen durch einen Mönch mit dem Staubsauger und seine beiden Helfer mit den feuchten Wischtüchern.
Wir haben nicht nur das Kloster an seinem neuen Standort besucht, sondern sind auch in den umgesiedelten Ort Plužine gefahren. Hier haben wir einen Blick auf den Stausee geworfen und die kleine Gruppe der türkischen Männer mit ihrem mazedonischen Reiseleiter wieder getroffen Wir hatten diese kleine Gruppe schon vorher während eines kurzen Haltes in den Bergen gesprochen und ein bisschen small talk gemacht. Einer berichtete, dass er deutsch sprechen könne, weilsein Vater Deutschlehrer war in Istanbul, ein anderer reagierte auf unser Autokennzeichen und wir erfuhren, dass sein Bruder in Rinteln lebe. Was man eben sich eben so erzählt. Einer der Türken hat uns hier Plätzchen angeboten, die er gerade im Cafe am See erstanden hatte, die besten Plätzchen überhaupt, mürbe, genau die richtige Menge Zucker……wunderbar. Ich habe gleich auch noch einige als Reiseproviant erstanden. Und ich habe am See dieses Foto für den Sohn gemacht. Er wird schon wissen warum. Ein Plagiat?
Die Staumauer ist verhältnismäßig kurz, aber ein mächtiges Bauwerk.
Wir fahren über die Mauer und der Weg geht direkt in die Felswand. Immer entlang des Piva – Stausees. Unsere Fotos können diese beeindruckende Landschaft nur unzureichend wiedergeben. Es ging viele Meter über dem See immer am Felsen entlang, durch unzählige Tunnel. Viele waren einfach in die Felsen geschlagen, innen keine Betontunnelröhre, oft nur am Anfang und am Ende des Tunnels. Und in diesen „Naturtunnels“ kam das Wasser wie Regen von oben. Die Straße war gerade aufgerissen weil die Decke erneuert wurde. Ich denke der ADAC, die technischen Überwachungen in Deutschland und ganz besonders der Erbauer des Lärmschutztunnels auf der A 33 zwischen den Anschlussstellen Dissen/Bad Rothenfelde und Dissen-Süd (Kennerinnen wissen, wen ich meine) hätten die Hände über dem Kopf zusammen geschlagen. Wie auch immer. Die Ausblicke und Einblicke waren großartig und uns hat die Strecke sehr gut gefallen.
Nach dem Ende der Aufstauung der Piva wird die Straße wieder normaler. Unter uns fließt jetzt wieder der schmale Fluss. Dann kommt uns auf einmal eine Ente (2 CV) entgegen und dann noch eine und noch eine und noch eine. Irgendwas muss hier los sein. Direkt vor der Grenze zu Bosnien – Herzegowina machen wir halt, trinken einen Kaffee an der Straße und da löst sich das „Entenrätsel“: uns kommt Raid Danube 2016 entgegen.
Das ist eine französische Ralley der 2CV Liebhaber. Wir haben so viele dieser Oldtimer gesehen, in Frankreich kann es gerade keine mehr geben. Aber deren Fahrt dauert nur 15 Tage, dann sind alle wieder daheim. Uns begegnen diese Autos bis hinter der Grenze. Hier steht eine lange Schlange. alle werden einzeln abgefertigt und unser Grenzbeamter sagt dazu „alles Pensionäre!“.
Weiter zu den Flüssen: kurz hinter der Landesgrenze kommt die Tara von rechts und fließt in die Piva. Piva und Tara heißen jetzt Drina. Und an der Drina entlang sind wir durch Bosnien Herzegowina bis nach Gorazde gefahren. Unser Hotel liegt direkt am Fluss und durch die offene Balkontür (ohne Balkon) hören wir ihr gleichmäßiges Rauschen. Das Wetter ist wieder besser, es regnet nicht mehr und heute nachmittag hatten wir schon mal 17 Grad (morgens sind wir bei 6 Grad losgefahren!). Danke für die guten Wünsche zum Wetter, es hat geholfen. Die Drina ist über 300 km lang und fließt in die Save und diese dann bei fließt Belgrad / Zemun in die Donau. Das haben wir in diesem Urlaub hier schon gesehen.
Jetzt sind wir also in Bosnien Herzegowina angekommen. Die erste Stadt ist Gorazde und liegt in der Föderation Bosnien und Herzegowina. Hier ist wieder die Ethnie wichtig; 90 % der in Gorazde lebenden Menschen fühlen sich als Bosniaken (das sind bosnische Muslime, Muslime im Sinne der Nationalität, diese Menschen können durchaus nicht religiös sein). Früher hießen diese Menschen auch Muslime (mit großem M). Wenn Mitglieder der Religionsgemeinschaft bezeichnet werden sollten, wurde das „m“ klein geschrieben. Bosnier heißen alle Menschen, die in Bosnien leben. Ich finde das alles immer noch sehr verwirrend. Das ist aber wesentlich, weil die ethnische Zugehörigkeit eine der Ursachen / Begründungen / Motive für die fürchterlichen Morde in dieser Gegend war.
Beim ersten Rundgang durch den Ort sehen wir zwei neue Moscheen, aber wenig Frauen mit Kopftüchern. An den älteren Häusern gibt es noch viele Spuren des letzten Krieges und wir treffen auf mehrere Denkmäler und Tafeln, die auf Opfer hinweisen. Vor der Polizeiwache gibt es ein ganz neues Mahnmal für die Kriegsopfer der Polizei, auf der anderen Straßenseite sehen wir eine Tafel zum Gedenken an ca. 70 Kinder, die 1992-94 Opfer wurden und an einigen Häusern sind Tafeln angebracht mit den Namen von Opfern einer einzelnen Aktion wie z.B. von einer Bombenexplosion. Der letzte Jugoslawienkrieg ist hier bedrückend präsent. Wir werden das sicher noch öfter erleben. In Montenegro wurde gar nicht gekämpft, hier in Bosnien-Herzegowina gab es sehr viele Kampfhandlungen und auch Kriegsverbrechen. Und Gorazde war ein Schwerpunkt.
Im Zeitachiv finde ich (Mechthild) einen neueren Artikel über die aktuelle ökonomischen Entwicklung der Stadt. Schon bei der Einfahrt haben wir entlang der Drina neben den alten zerschossenen Fabriken auch ganz neue Industriegebäude gesehen. Zu der dort beschriebenen Stimmung in Gorazde kann ich (Karl) noch einen Eindruck beisteuern, den ich bei einem Gespräch mit einem hier lebenden bosnischen Muslim gewann. Er hatte seine Familie damals im Krieg rasch nach Deutschland geschickt, um sie zu schützen, und ist einerseits froh, dass es ihnen gut geht und sie alle perfekt Deutsch sprechen, andererseits war spürbar, wie er unter den jetzigen Verhältnissen auch leidet. Früher sei die ganz Gegend um Gorazde und Visegrad muslimisch gewesen, jetzt sei es nur noch Gorazde und alle Dörfer ringsherum seien serbisch. Klar war ja dabei auch, dass die Muslime vertrieben bzw. ermordet worden sind, und dass Serben die Angreifer waren. Diese Kriege seien doch völlig absurd, es spiele doch keine Rolle, ob man schwarzhäutig, Chinese, Bosniake oder Serbe sei, aber aus der Art und Weise seines Berichts und seinem Gesichtsausdruck bei der Erwähnung, dass 150 Serben in der neuen Fabrik arbeiten würden, hatte ich den Eindruck gewonnen, dass für ihn die Serben (noch) keineswegs normale Mitmenschen waren.
Ein dreistes Plagiat der neuen Kompan-Serie: Vor- und Nachspeisenwipper. Ich leite das sofort an die Rechtsabteilung weiter!