Zentralbulgarien Wiedergeburtszeit

Heute ist Karfreitag nach bulgarischem Kalender (aber ob das auch so heißt, weiß ich nicht). Morgens sind wir in Gabrovo unterwegs, es ist ein herrlicher Sonnentag, blauer Himmel, wunderbare 13 Grad (plus!). Viele Menschen machen ihre Ostereinkäufe. Vor den ganz kleinen Bäckereien und den Fleischereien muss Schlage gestanden werden. Besondere Osterbrote und Lammfleisch sind traditionelle Zutaten für das Osteressen. Die müssen besorgt werden. Wir probieren ein Osterbrot mit Hefe; süß mit Zucker überpudert, sehr reichhaltig und saftig. Es ist noch ganz warm und ähnelt unserem Osterzöpfen, allerdings finden sich keine Rosinen darin.

Auch in den Kirchen unglaublicher Andrang, alle Leute kaufen lange schlanke Kerzen, stehen Schlange, um in dem Kirchenraum vorzurücken, zünden die Kerzen an und stecken sie in die Behälter vor verschiedene Ikonen, landen dann an einem Tisch mit Blumen, Ikonen und anderen heiligen Gegenständen, bekreuzigen sich mehrmals, küssen die Heiligenbilder und dann kriechen sie unter dem Tisch hindurch! Auf der anderen Seite steht ein kräftiger junger Mann, der denjenigen wieder hoch hilft, die nicht so beweglich sind. Im Internet lesen wie später dazu, dass dieses „spezielle“ Ritual in manchen Regionen üblich sei und dass man hierdurch von den Sünden befreit werde.

Heute wollen wir ein paar Stellen aufsuchen, die für die bulgarische Epoche der Wiedergeburt bedeutend sind. Immer wieder sind wir schon auf diesen Begriff gestoßen und haben rasch begriffen, dass diese Zeit (in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts) eine enorme Bedeutung hat für das bulgarischen Nationalgefühl. Nach dem ersten bulgarischen Reich (7.-11. Jahrhundert) und dem zweiten bulgarischen Reich (12.-14. Jahrhundert) folgten mehrere Jahrhunderte Beherrschung durch das Osmanische Reich, bis dieses in vielen Freiheitskämpfen mit russischer Unterstützung besiegt wurde. Mit „Wiedergeburt“ ist dann die Epoche gemeint, in der Kunst, Kultur und Architektur wieder das echte Bulgarische aufleben ließen. In allen Orten, in denen wir bisher waren, wird stolz darauf hingewiesen, dass es dort echte (oder rekonstruierte) Wiedergeburtskäuser gebe, mit steinernem Sockelgeschoss, hölzernen weiteren Geschossen und teilweise Dachbedeckung mit Kalksteinplatten oder Holz.

Wir besuchen das Dorf Bozenci und die Stadt Tryavna in der Nähe von Gabrovo; beide sind schwierig zu finden, der erste Ort ist ein kleines Museumsdorf am Ende eines langen Tales, gar nicht verzeichnet auf Strassenkarte und Navi, der zweite ist im Navi anders geschrieben als im Führer. Da der Tag aber weiter wunderschön sonnig und warm ist, ist es letztlich unter der Rubrik „Abenteuer“ zu buchen. Bozenci hat über 100 sehr gut erhaltene Häuser im Wiedergeburtsstil, wurde von reichen, Handel treibenden Kaufleuten bewohnt, ist jetzt ein bißchen und im Sommer wahrscheinlich massiv touristisch besucht. Die Häuser können für Tage oder Wochen gemietet werden.

Dorf

Tryavna hat uns sehr gut gefallen, ein schmuckes Städtchen, im Cafe am alten türkischen Uhrenturm haben wir auf niedrigen Hockern und an niedrigen Tischen türkischen Kaffee getrunken und ein Diplom darüber bekommen, dass wir dies geschafft haben. Auch hier in der Kirche erleben wir wieder das Ritual des „unter dem Tisch durchkrabbeln“.

Haus2 Haus3

 

Zu diesem Thema haben wir auch am Ostersamstag noch mehr erfahren, als wir in das Museums-Dorf Etara gefahren sind, etwa 8km südöstlich von Gabrovo in einem Tal gelegen. Es ist das erste und einzige Freilicht-Museum Bulgariens. Ähnlich wie im Detmolder Freilichtmuseum hat man auch hier ein Ensemble von ca. 50 typischen Häusern des Landes gesammelt und aufgebaut, an und in denen man die Lebensweise der bulgarischen Bevölkerung im Gebiet des Balkan-Gebirges studieren kann. Einzelne Handwerker (Lederverarbeitung, Weberei, Bäcker, Holzschnitzerei etc.) waren tätig und zeigten ihr Können, und die Touristen konnten natürlich kaufen. Wir kauften einen Ledergürtel und einen Beutel aus Ziegenhaaren gewoben. Ein sehr schöner Tag, Temperaturen erstmals bei 20 Grad, sehr viele Besucher sind gekommen (morgen werden es wohl noch mehr sein), überall hört man Vögel pfeifen (weil die Kinder kleine Tonpfeifen bekommen haben, mit denen sie laut tirillieren können)

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Karl Verfasst von:

Ein Kommentar

  1. Kurt
    12. April 2015
    Antworten

    Hallo Ihr Beide, freue mich mit euch über das schöne Wetter. Von Nordwesten her wird noch mehr kommen. Auch wenn ihr das vielleicht nicht verdient habt, weil ihr nicht unter den (niedrigen) Tischen durchgekrabbelt seid.

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