Zentralbulgarien Gabrovo

Martina fragt in ihrem Kommentar, ob wir etwas von der aktuellen Situation z.B. hier in Bulgarien  mitbekommen.

Wir können kein Bulgarisch und die deutschen oder englischen Sprachkenntnisse unserer Kontaktpartner reichen oft nicht, um differenzierte Gespräche zu führen. Wir können die regionalen Zeitungen nicht lesen und die deuschsprachige Presse, die wir über das Internet lesen können, berichtet aktuell wenig aus dem Land. Informiert habe ich mich über die wirtschaftliche Lage auf der Seite des Auswärtigen Amtes. Hier finden sich die aktuellsten Zahlen, Stand Januar 2015:

0,7% weniger Einwohner pro Jahr, ärmstes EU Land, durchschnittlicher Arbeitslohn 442 €, 10,8 % Arbeitslosigkeit

Für mache Informationen ist auch die Seite der EU mit seinen Ländervergleichen hilfreich.

Bulgarien ist sicher eins der ärmsten Länder in der europäischen Union, hat auch eine Menge innerer Probleme mit Korruption und wenig stabilen politischen Verhältnissen. Wir erleben auf unserer Reise die Auswirkungen. Landflucht: in vielen Dörfern stehen Häuser leer, oft mehr als Hälfte. Wir sehen immerzu zusammengefallene Bauten. Nur wenige Dörfer scheinen ganz intakt zu sein. Armut:  Menschen wühlen in Mülltonen, ich sehe alte Menschem ohne oder mit unpassenden medizinischen Hilfsmitteln, Gehilfen. Prothesen u.ä., viele lückenhafte Gebisse……. alles Zeichen von Armut. Als Kontrast dazu gibt es an der Schwarzmeerküste eine Zahnklinik nach der anderen, die um wohlhabende Touristen aus dem Ausland mit preisgünstiger Behandlung konkurrieren. Schlechte Gehwege und Straßen: auch in den Zentren der großen Städten des Landes sind viele Gehwege in erbärmlichem Zustand. Die Straßen sind voller Schlaglöcher, auch in Hauptverkehrswegen durch Europa, die Verbindung zwischen Rumänien und Bulgarien über die Brücke kann da als Beispiel dienen. Es gibt auch viele neue Straßen, oft mit EU-Unterstützung gebaut, aber noch ist viel zu tun.

 

Wir sind heute in Gabrovo und die industrielle  Entwicklung der Stadt scheint uns ein gutes Beispiel. Längs des Flusses Jantra hatte sich ab Ende des 19. Jahrhunderts eine ganze Fülle von unterschiedlichen Industrien entwickelt.  Im wunderbaren neuen multmedialen Industriemuseum Museumhaben wir uns die Geschichte durch eine sehr engagierte deutschsprechende Tourismusfachfrau erläutern lassen. Gabrovo war im Land führend in vielen Bereichen: Stoffe, Leder/Schuhe, Metallwaren und auch die Produktion von Gebrauchsartikeln aus Plastik. Die privaten sehr erfolgreichen Fabriken wurden in der Zeit des Sozialismus enteignet und zu volkseigenen Betrieben. Gabrovo zog benötigte viele Arbeitskräfte an und für deren Bedarf wurden Hochhäuser gebaut (Plattenbauten). Nach der Wende konnten sich nur wenige Fabriken auf dem Markt behaupten; oft mit Hilfe von westlichen Investoren. Jetzt stehen an den Ufern des Jantra die Fabriken leer, verfallen und viele Wohnungen in den Hochhäusern scheinen ebenfalls unbewohnt, ganze Wohnblocks verfallen.

Kapitan verfallene Haeuser verfallene Haeuser2 verfallene Haeuser3

Junge Leute gehen in die größeren Städte oder ins Ausland. Auf der anderen Seite können wir sehen, wie sicher viel schlecht bezahlte Arbeitsplätze noch bestehen: überall gibt es Parkwächter, die ein kleines Gebiet „regieren“ und sofort ankommen, um 1 LEV für eine Stunde Parken zu kassieren. Wenn die Parkuhren erst einmal kommen, werden sie arbeitslos. Auf den großen Straßen sind oft Frauen mit Besen und Kehrblech unterwegs, die Müll zusammenkehren. Bei Baustellen auf den Strassen sieht man noch viele arbeitende Menschen und relativ wenig Maschinen: das wird wie bei uns umkippen. Und für die Landwirtschaft ist das ebenso vorherzusehen, wenn die Tomaten und Gurken billiger aus der EU importiert werden (in Kreta haben wir letztes Jahr schon gesehen, dass der meiste Feta aus Dänemark kam!).

Unsere oben erwähnte Museumsführerin hat in München studiert und den Wechsel der Währung erlebt und gesehen, wie statt DM plötzlich € da stand und einfach alles doppelt so teuer war. Sie sieht das auch in Bulgarien kommen, wenn der Euro eingeführt wird, und viele Leute werden sich vieles nicht mehr leisten können. Bei ihr hat der Währungswechsel wohl dazu geführt, dass sie sich das Studium und München nicht mehr leisten konnte.

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Mechthild Verfasst von:

3 Kommentare

  1. Birgit
    12. April 2015
    Antworten

    Liebe Mechthild, lieber Karl
    es ist ein grosses Vergnügen/Entzücken für mich so einfach mit Euch mitzufahren und die Erlebnisse aufzusaugen wie ein Schwamm. Und jetzt in Bulgarien wo ich u.a. Veliko Tarnovo, Grabovo und den Schipka Pass selbst kennengelernt hatte. Ich empfehle Euch unbedingt Plovdiv und das Rosenkloster in Melnik, wenns in Eure Pläne passt. Bei Eurer Schneeüberraschung musste ich schon schmunzeln,weil es hat da noch die Rhodopen und das Rila-Gebirge. So wie damals in Hintertux………….
    Toi toi toi für Euch, alles Gute , Birgit

  2. Anne
    13. April 2015
    Antworten

    Diesen sehr persönlichen Reisebericht finde ich sehr interessant. Solche Informationen und Fotos findet man in keinem Reiseführer. Und bei Nachrichtenmeldungen über das BSP eines Landes denkt man auch nicht gleich an fehlende Zähne oder Gehhilfen. Oder gar eine ganze fehlende Generation: Es gibt in Bulgarien und Rumänien ganz Dörfer, wo nur alte Menschen und Kinder leben. Die mittlere Generation arbeitet im Ausland, z.B. hier auf Zypern in der Landwirtschaft und in der Gastronomie.
    Danke für diesen Bericht.
    Liebe Grüße, Anne

  3. […] soziale Lage? Zu unsereren Eindrücken von der aktuellen Lage haben wir hier (anklicken) schon geschrieben. Hervorheben möchte ich noch, dass ich den Eindruck hatte, dass die […]

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