Hätte ich gestern schon über Ohrid geschrieben, so wäre meine Enttäuschung über die Stadt durchgeschienen. Heute ist alles anders; eine wunderbare Stadt mit einem beeindruckenden See und großartigen und sehr freundlichen Menschen. Aber jetzt der Reihe nach. In Bitola haben wir uns gestern noch Heraklea angeschaut – eine alte Römische Stadt. Sie hat besonders Karl so gut gefallen, dass er sie als Tip 5 beschrieben hat.
Die Autofahrt nach Ohrid hat mich landschaftlich erneut überrascht. Mazedonien ist bergig. Von vielen Stellen sehe ich Gletscher. Die Hänge sind verkarstet, oft aber an anderen Stellen auch noch bewaldet. Mich, als Kind des flachen Westfalen, beeindrucken diese Berglandschaften immer wieder. Ich staune!
Sich in Ohrid zu orientieren war unproblematisch. Das Navi funktioniert jetzt zuverlässig. Die Ferienwohnung schnell bezogen, haben wir uns aufgemacht, um einen ersten Eindruck von der Stadt zu bekommen. Die Häuser der Altstadt liegen auf einem Hügel in mehreren Ebenen mit Blick auf den See. Der See und das Naturschutzgebiet sind einen extra Post wert. Er kommt. Eine Stadt am See ist wunderbar. Und Cafes und Restaurants am Seeufer klasse. Eine breite Promenade, noch wenig Touristen, aber schon alle Restaurationen geöffnet. Wunderbar. Wir sind ein wenig bummeln gegangen in der Altstadt und trafen auf viele Souvenirgeschäfte mit langweiligem Tand. Irgendwie war dass nicht so attraktiv. Am Ende der Straße gab es einen türkischen Basar mit Gemüse und Gebrauchsgegenständen. Da haben wir uns fürs Frühstück mit Gemüse eingedeckt.
Und es gibt die Platane „Chinar“, 1100 Jahre alt, wissenschaftlich erwiesen, ein Wahrzeichen der Stadt. Unsere Führerin Kostadinka erzählte uns, dass ganz früher in dem Baum – der auf 1,30m Höhe einen Umfang von über 18m hat – eine Kneipe gewesen sei.
Im See gibt es eine bestimmte, nur hier vorkommende, also endemische und streng geschützte Forelle. Sie wird nachgezüchtet. Wir haben eine davon zu Abend verspeist und dabei mit den Kellner über das übliche hinaus Bekanntschaft gemacht. Er hat uns auch über die schwierige Situation für qualifizierte junge Menschen wie ihn berichtet und dann Kontakt hergestellt zu seiner Tante, einer Deutschlehrerin. Diese hat uns dann heute, am Dienstag, knapp 3 Stunden durch die Stadt geführt, uns die spannenden Stellen gezeigt und wir konnten unsere Fragen loswerden. Es war eben nicht nur eine Touristenführung mit den Infos, die man auch nachlesen könnte, sondern eine Vorstellung des Lebens in dieser Stadt, angereichert mit persönlichen Details („da oben bin ich zur Schule gegangen“). Danke euch beiden, Jovan und Kostadinka für eure freundliche Aufnahme in eurer Stadt und für die vielen Antworten auf unsere neugierigen und auch kritischen Fragen. Es war uns ein Vergnügen, und mit eurer Hilfe können wir ein wenig besser verstehen, was uns in eurem Land begegnet.
Morgens waren wir schon im Stadtmuseum gewesen, welches im Haus einer reichen Kaufmannsfamilie aus dem 19. Jhdt. untergebracht ist, welches im typischen Ohrider Stil erbaut ist. Besonders gut hat mir der Goldschatz gefallen. Erst 2002 wurde bei Ausgrabungen neben anderem eine goldene Maske und eine Hand von einem Knaben aus dem 6. Jh.v. Ch. gefunden. Von einigen alten Trachtenbestandteilen habe ich Fotos gemacht. Anregungen für meine Nähstube? Mal sehen.
Direkt nebenan gibt es eine kleine Manufaktur, in der Papier hergestellt und mit einer alten Presse bedruckt wird. Der Besitzer ist sehr stolz darauf, dass sein Gerät eine (etwas kleinere) Kopie derjenigen Presse ist, die Gutenberg benutzte.
Beide Gebäude, das Museum und auch das Haus, in dem die Manufaktur untergebracht ist, stehen für den Typ Haus, der für die Altstadt kennzeichnend ist. Ein steinernes Erdgeschoss und darauf ein, häufiger noch zwei Stockwerke aus Holz, die immer breiter werden. Unten wurden die Tiere gehalten, Rinder, Schweine, keine Schafe. Die alte Bausubstanz ist an vielen Stellen erhalten und häufig schon renoviert. Am Nachmittag erfahren wir, dass einigen Besitzern aber schlicht das Geld für die notwendigen und aufwendigen Erhaltungsmaßnahmen fehlt und dass diese Häuser verfallen oder verkauft werden.
Als Kulturerbe und als Naturerbe sind der Ohridsee und die Altstadt schon 1979 zum UNESCO-Welterbe erklärt worden: „Direkt am Ufer des Ohrid-Sees, ist die Stadt Ohrid eine der ältesten menschlichen Siedlungen in Europa. Gleichzeitig war es in seiner Geschichte ein kulturelles Zentrum von großer Bedeutung, nicht nur für diesem Teil des Balkans sondern auch für alle Nationen slawischer Sprache.“ (Wikipedia, am 28.4.14 abgerufen). In Ohrid hat der Mönch Klement 893 eine bedeutende Schule gegründet. Manche Forscher bezeichnen die Schule von Ohrid als erste slavische Universität. Klement und Naum haben als Schüler von Kyrill und Method die slavische Schriftsprache weiterentwickelt. Eine bedeutende Grundlage für die Christianisierung des osteuropäischen Raums.
Am Nachmittag hat Kostadinka uns dann durch die Altstadt geführt und es wurde deutlich, warum sie als schönste Stadt Mazedoniens gilt. Trotz der Schauer und obwohl wir alle drei richtig nass geworden sind, war es ein großartiger Gang. Ein Amphitheater, das bis 2000 ausgegraben, heute wieder genützt wird, der schöne See, viele Kirchen und die typischen Ohridhäuser am Berg. Schaut mal:
Wir haben auch über die soziale Entwicklung nach der Wende gesprochen. Die durchschnittlichen Löhne sind so niedrig, dass eine Arbeitsstelle oft nicht ausreicht. Die Arbeitslosigkeit ist sehr hoch und es gibt keine große Zuversicht, dass sich das in absehbarer Zeit grundsätzlich verändern wird. Landflucht, Flucht der jungen, gut ausgebildeten Menschen in den Westen, alle diese Phänomene sind hier Alltag. Karl und ich finden diesen Aspekt des Landes sehr bedrückend. Als Kontrast dazu die Schönheit der Landschaft, die Freundlichkeit, Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft der Menschen. Was bitte können wir tun, damit es gerechter zugeht in Europa? Wie läßt sich ein Ausgleich herstellen? So grundsätzliche schwere Fragen und keine Antworten.
Bei unserere Abfahrt in Skopje hatte Tina, die Frau, die unsere Wohnung verwaltete, uns empfohlen, in Ohrid ins Restaurant Antiko, Car Samoil 30, zu gehen, ihr Lieblingsrestaurant. Heute waren wir da und haben ein mazedonisches Menü gegessen. Das älteste Restaurant der Stadt, über 200 Jahre alt, direkt neben der alten Stadtmauer am unteren Tor. Schönes Ambiente, gutes Essen, hervorragende Bedienung, und – wir waren die einzigen Gäste – ein interessantes Gespräch mit dem Kellner. Er meint, die Stabilisierung der Region und Lösung der mazedonischen Frage sei eine Frage von mindestens 100 Jahren; der Beitritt zur EU und NATO sei dabei ganz wichtig.
Wir empfehlen das Antiko sehr.
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